Klimaneutrale Moderation oder:
Die eigenen Emotionen managen

von Josef W. Seifert –

Moderieren bedeutet leiten, lenken, unterstützen des Arbeitsprozesses und managen des emotionalen Gruppenprozesses. Und, was meist unter den Tisch fällt: Moderieren bedeutet managen der eigenen Gefühlswelt. Je schwieriger die Situation im Prozess, desto schwieriger auch das „Managen des Moderators, der Moderatorin“.

Wird man etwa persönlich angegriffen, ist man in der Sekunde möglicherweise emotional überfordert und die emotionale ‚Selbst-Steuerung‘ versagt. Man re-agiert aus den eigenen Mustern heraus. Man ‚explodiert‘ und wird ironisch, sarkastisch, schroff. Oder man ‚implodiert‘ und versucht zu verbergen, wie es einem gerade geht. In beiden Fällen verliert man irgendwie den Boden unteren Füßen, die eigene Sensibilität sowohl für sich, als auch für andere und deren Emotionen, für das Ganze, die Gruppe, den Prozess‚ die geforderte Souveränität, die Professionalität, sind erst einmal dahin…

Damit es nicht soweit kommt, ist die wichtigste Nebentätigkeit der Moderatorin, des Moderators – respectively facilitators – daher, das Managen der eigenen Emotionen. Diese Herausforderung besteht sowohl in der „normalen“ Moderation, als auch – und dort ganz besonders – in Teamentwicklung und Konfliktmoderation.

Die „Werkzeuge“, die dafür genutzt werden können, könnte man mit „Abstand“ und „Nähe“ bezeichnen. Was hat es damit auf sich?

Abstand

Der Idealfall wäre, dass man als Moderator soviel inneren Abstand zum äußeren Geschehen hat, dass man auch kritische Äußerungen, zwar wahrnimmt, diese aber keine innere Resonaz erzeugen. Egal, was außen passiert, es bringt einen nicht aus der inneren Mitte. Diese Ruhe und Ausgeglichenheit, dieses „in sich ruhen“, ist allerdings nicht leicht zu erreichen und aufrechzuerhalten.

Hat man diese „innere Reife“ – im entscheidenden Moment – nicht, ist es eine gute Möglichkeit, sich bewusst zu machen, dass das – um es mit René Descartes zu sagen – was Peter über (oder zu) Paul sagt, mehr über Peter sagt als über Paul.

Es kann helfen, dieses Zitat im Kopf zu haben oder soagar auf einer Karte vor sich liegen zu haben oder auf einem Flip-Cart an der Wand. Hat man diese Tatsache präsent, weiß man, dass das was man gesagt bekommt, im Kern, mehr eine Selbstmitteilung des Sprechenden ist, als eine Botschaft an einen selbst.

Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul.

Dies schafft einen emotionalen Puffer, einen gewissen Abstand zu dem, was plötzlich und unerwartet auf einen zukommt, gewissermaßen einen „Emotions-Airbag“. Die emotionale Wucht, wird deutlich abgefedert.

Das andere Ende der Skala – idealerweise als Ergänzung – ist es, mit Nähe zu arbeiten, also den gefühlten Angriff auf die innere Mitte, auf die Hörner zu nehmen…

Nähe

Pauschale Aussagen, schroffe Argumentation, verbale Angriffe, die in der Moderation nicht die Regel sind, aber regelmäßig vorkommen, kann man gut mit Kommunikations-Technik begegnen. Die Schritte dazu sind: Nachfragen, Zuhören und Auflösen.

📍 Nachfragen
Durch Nachfragen kann man – und der Aspekt ist nicht zu unterschätzen – schlicht, Zeit gewinnen. Zudem gibt Nachfragen die Möglichkeit, Aussagen zu konkretisieren, Verallgemeinerungen zu relativieren… und nicht zuletzt die Möglichkeit, herauszufinden, welchen Selbstmitteilungsanteil das Gesagte hat.

📍 Zuhören
Zuhören, im Sinne des Aktiven Zuhörens, ist die andere Seite der Medaille. Antworten können weiter präzisiert und in die Tiefe, zum Kern dessen, was gemeint ist, verfolgt werden.

📍 Auflösen
Je klarer herausgearbeitet werden kann, worum es „eigentlich“ geht, desto konstruktiver wird das Gesprächsklima. Ziel der Intervention ist es, konkret verstanden zu haben, worum es im Kern geht und welche konstruktive Aussage es festzuhalten gilt. Je besser dies gelingt, desto stabiler wird das eigene Emotionsmanagement.

Fazit

So wie man in der Moderatorenrolle inhaltlich neutral zu sein hat, also keine eigene Meinung zu den jeweiligen Inhalten zu haben hat, dürfen der Moderator und die Moderatorin auch „keine Gefühle“ haben, weil diese ebenfalls den Arbeitsprozess stören (könnten). Da beides unmöglich ist, bedarf es für Moderation / Facilitation, spezieller Kommunikationstechniken.

Die Emotionen des Moderators dürfen – oder sollen – ebenso, wie dessen Meinung zu den jeweiligen Themen, keinen Einfluss auf das Arbeitsklima und den Arbeitsprozess haben. Der Umgang mit den eigenen Emotionen, ob Freude, Trauer, Unsicherheit, Wut oder Frustration… muss in der Moderatorenrolle, dem Arbeitsprozess geschuldet, „klimaneutral“ sein.

jws

 

PS: Zur leichteren Schreib- und Lesbarkeit, halte ich mich an den Rat für deutsche Rechtschreibung […]

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Neues Führen

Ein Beitrag von Josef W. Seifert –

Kurze Vorbemerkung: Zugunsten einer flüssigen Schreib- und Lesbarkeit gendere ich nicht.

Immer wieder wird die Forderung laut, dass die Führungskraft „Moderator und Coach“ ihrer Mitarbeiter sein muss. Was ist damit gemeint?

Die rasante Entwicklung der Informationstechnologie und die Globalisierung der Märkte führen zu ständig zunehmendem Wettbewerb. Dabei sind die Mitarbeiter zum zentralen Wettbewerbsfaktor geworden. Ihr Wissen, ihre Fähigkeit und ihr Engagement, sich rasch auf veränderte Umfeldbedingungen einzustellen, Probleme zügig zu lösen und Neuerungen zu finden, sind entscheidende Erfolgsfaktoren geworden. Sie unterscheiden das flexiblere und schnellere, das agile Unternehmen vom starreren, langsameren und entscheiden so wesentlich mit über den wirtschaftlichen Erfolg.

Dadurch entsteht eine – in ihrer Tragweite den meisten Führungskräften noch nicht bewusste – neue Führungssituation: Gefordert wird der Mitarbeiter als „Unternehmer im Unternehmen“. Die Führungskraft andererseits wird vom „Oberfachmann“ zum Gestalter von Führungssituationen, die den Mitarbeitern das geforderte neue Verhalten auf Augenhöhe ermöglicht und sie diesbezüglich gezielt fördert und unterstützt. Das Führen mit Zielen und die Moderation von Teams rücken in den Brennpunkt des Führungsgeschehens: Die Führungskraft wird zum Moderator und Coach ihrer Mitarbeiter. Was aber bedeutet dies konkret und was daran ist neu im Unterschied zum „klassischen“ Führen?

Klassisches Führungsmodell

Nach klassischem Führungsverständnis brauchen Organisationen Führungskräfte, die die Einzelleistungen der Mitarbeiter fordern bzw. abstimmen, koordinieren und zusammenführen. Zum einen gilt es dabei, die Interessen des Unternehmens bezogen auf Qualität, Quantität und andere Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, unter denen das Produkt bzw. die Dienstleistung erstellt/erbracht wird. Andererseits arbeiten Menschen mit unterschiedlichsten Bedürfnissen, denen ebenso Rechnung getragen werden soll.

Beiden Dimensionen muss die Führungskraft gleichermaßen gerecht werden, wie dies auch z.B. im GRID-Modell von Blake/Mouton zum Ausdruck kommt. Dies bedeutet in der Aufgabenorientierung etwa, darauf zu achten, dass die Mitarbeiter die quantitativen und qualitativen Anforderungen des zu erstellenden Produktes/der Dienstleistung erfüllen. In der Mitarbeiterorientierung geht es z.B. darum, ein „stimmiges“ Arbeitsklima zu schaffen und zu „pflegen“.

Abb. 1 – GRID-Modell

Partizipatives Führungsmodell

Lutz von Rosenstiel erweiterte diese Vorstellung, indem er eine dritte Dimension einführt, die Partizipation. Er fordert, dem Mitarbeiter möglichst viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum einzuräumen als Voraussetzung für mehr Mitsprache und Mitverantwortung. Will man den geforderten „Unternehmer im Unternehmen“ realisieren, so scheint Rosenstiels Forderung der Dreh- und Angelpunkt hierfür zu sein.

Folgt man diesem Gedanken, so stellt sich die Frage, warum dieser Forderung bislang so wenig entsprochen wird bzw. was zu
tun ist, damit die Umsetzung gelingt. Liegt es vielleicht daran, dass die Vorgesetzten keine Freiräume schaffen oder eher daran, dass Mitarbeiter gegebene Freiräume nicht nutzen oder an beidem?

Führungssituation heute

Der Vorgesetzte

Ein Großteil der heutigen Führungskräfte wurde aufgrund ihrer herausragenden fachlichen Qualifikation in die Führungsfunktion übernommen. Dadurch sind sie auch in der neuen Funktion weiterhin der erste Ansprechpartner bei fachlichen Fragestellungen und leiten aus diesem „Gefragtsein“ auch ihren sozialen Status im Unternehmen ab. Das Schaffen von Freiräumen birgt deshalb die Gefahr, dass die Mitarbeiter diese so nutzen, dass die eigene Expertenposition geschwächt oder gar in Frage gestellt wird. Der Vorgesetzte verliert möglicherweise an Einfluss, Ansehen und „Wert“. Dies führt (unbewusst!) dazu, dass fachliche Aufgaben den eigentlichen Führungsaufgaben vorgezogen werden. Das Entwickeln von Visionen und Strategien, das Wahrnehmen koordinierender Aufgaben, das Coachen des Einzelnen sowie das Moderieren des Teams kommen zu kurz. Gelingt es dem Vorgesetzten dennoch „loszulassen“, kann er nicht in jedem Fall davon ausgehen, dass die Mitarbeiter willens und fähig sind, diesen Freiraum (sinnvoll) zu nutzen.

Die Mitarbeiter

Die Forderung – vor allem jüngerer Mitarbeiter – nach Handlungsspielraum und Chancen, Leistung zeigen zu dürfen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den letzten Jahrzehnten andere Vorstellungen von Führung gelebt wurden: Zentrale Planung nach tayloristischen Grundprinzipien machten das Mitdenken der Mitarbeiter eher zur „Störgröße“. Passivität hinsichtlich eigener Ideen und Forderungen bedeutet daher für viele Mitarbeiter immer noch, sich „auf sicherem Boden“ zu bewegen. Initiativ zu werden hingegen heißt, Probleme aufzugreifen und Verantwortung zu tragen. Fehler zu vermeiden (und damit nicht angreifbar zu sein) hat einen höheren Stellenwert, als Chancen zu nutzen.

Die Lösung

Zur Lösung dieses „gordischen Knotens“ ist Moderation im Denken und Handeln gefordert.

 

Abb. 2 – Dimensionen der Führung

Führungssituation morgen: „Moderierendes Führen“

Moderation steht für Mäßigung. Im Führen bedeutet dies, Extreme zu vermeiden. Die Führungskraft kann weder der fachliche Experte bleiben noch sich fachlich völlig zurückziehen. Die Mitte ist gefragt!

Dies bedeutet für den Vorgesetzten, sich fachlich zurückzuhalten, ohne die Gesamtverantwortung aus der Hand zu geben. Gleichzeitig muss er dabei für einen maximalen Handlungsspielraum der Mitarbeiter sorgen. Das Motto kann nur lauten: „Erfolg durch exzellente Mitarbeiter!“ statt: „Erfolg durch fachlich überlegene Vorgesetzte!“.

Das setzt einerseits Vertrauen in die Fähigkeiten und Entwicklungspotentiale der Mitarbeiter voraus. Er muss sich dazu „trainieren“, die Kraft aufzubringen, sich bei operativen Entscheidungen herauszuhalten. Dies dürfte ihm besonders anfangs schwerfallen, wenn etwa die Entscheidungen scheinbar wenig durchdacht sind, nicht seinen „Qualitätsnormen“ entsprechen und/oder zu lange dauern.

Andererseits muss er seine Mitarbeiter aktiv fördern und unterstützen, damit auch diese in die neue Rollenverteilung hineinwachsen können. Sein Ziel muss es dabei sein, die Mitarbeiter zu befähigen und zu motivieren, die neuen „Freiheitsgrade“ aktiv zu nutzen. Die Führungsinstrumente dazu sind Moderation und Coaching, die ihrerseits getragen sind durch die Grundeinstellung zum „Führen auf Augenhöhe“.

Die Ziele sind dabei von den Organisationszielen abgeleitet und bilden den Orientierungsrahmen für die gemeinsame Arbeit und konkrete Zielvereinbarungen im Team. Die zentrale Technik zur Klärung und Vereinbarung von Zielen sowie zum „Ziel-Controlling“ ist die SixSteps Moderationsmethode.

Moderation des Teams

Moderation ist dabei immer dann das Führungsinstrument der Wahl, wenn „Freiheitsgrade“ existieren. Sind hingegen wesentliche Fakten bereits deutlich vorgegeben, sind Ziel, Weg und Ressourcen klar definiert, bedarf es keiner Diskussionen mehr. Wenn aber die Sachkenntnis der Mitarbeiter gefragt ist, wo sie als Experten für die Problemlösung und zu deren Umsetzung gebraucht werden, müssen sie aktiv einbezogen werden! Der Vorgesetzte hat dazu die Aufgabe, (möglichst) vorab die Handlungs- und Entscheidungsspielräume festzulegen, innerhalb derer die Gruppe frei agieren kann. Er sollte dazu prüfen, ob …

  • die Eckpfeiler/Ziele konform mit den Organisationszielen sind.
  • die Gruppe reif genug ist, die Freiheitsgrade zu nutzen, d.h., ob die Bereitschaft und Fähigkeit dazu vorhanden ist. Er selbst ist dabei in der Doppelrolle des neutralen Moderators und des ergebnisverantwortlichen Vorgesetzten.

Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, muss er vor der Moderation, während des Gespräches und nachbereitend tätig werden.

Vorher

Neben der üblichen organisatorischen Vorbereitung und der bereits erwähnten Zielklärung sollte er wissen, wie er die Gruppe – innerhalb des Moderationszyklus, also im Rahmen der SixSteps der Moderation, methodisch unterstützen möchte, so dass sie strukturiert arbeiten und sich jeder einzelne verantwortlich einbringen kann/wird.

In der Moderation

Je klarer der Vorgesetzte vorab den Rahmen abgesteckt hat, desto leichter wird es ihm in der Moderation fallen, sich (inhaltlich) zurückzuhalten. Ist es aus seiner Sicht dennoch erforderlich sich inhaltlich zu Wort zu melden, so sollte er unbedingt darauf achten, dass für die Gruppe die Notwendigkeit dazu erkennbar wird und, dass er hierzu seine neutrale Moderatorenrolle (vorübergehend) verlässt.

Dies kann er beispielsweise verbal tun, wie etwa: „An der Stelle muss ich Euch als Ergebnisverantwortlicher kurz eine aktuelle Information geben, damit …“

Ist es erforderlich, dass er zeitweise mitdiskutiert, kann er den Rollenwechsel verbal oder auch körpersprachlich deutlich machen.

Nachher

Im Rahmen seiner Moderatorenrolle ist der Vorgesetzte zuständig für das „Zielcontrolling“. Als Verantwortlicher für das Gesamtergebnis muss er darüber hinaus dafür sorgen, dass die Entwicklungspotentiale der Mitarbeiter genutzt werden, die sich zeigen, wenn die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt werden. Zur Aufgabe des Moderierens kommt die Aufgabe des Förderns, des Coachings hinzu.

Coaching

Coaching bedeutet, jemanden „betreuen, trainieren, entwickeln“. Dies ist neben der Moderation des Teams eine (Haupt-)Aufgabe der Führungskraft. Sie findet auf der individuellen Ebene statt. Ansatzpunkte für ein gezieltes Coaching ergeben sich für den Vorgesetzten einerseits aus Team-Moderationen, andererseits aus dem Erleben des Mitarbeiters im „normalen“ Arbeitsablauf. Es geht dabei darum, Maßnahmen zu vereinbaren, die geeignet erscheinen, erkannte Defizite auszugleichen und (soweit für die Organisation nützlich) Talente berücksichtigen, dass Mitarbeiter und Teams als soziale Systeme nur bedingt steuerbar sind. Es kann daher allein darum gehen, die Rahmenbedingungen für den gemeinsamen Erfolg geschickt zu gestalten, zu moderieren.
Auch wenn dieses „neue Führen“ anfangs aufwendiger erscheint, mit dem Aufgeben des bewährten Führungsverständnisses verbunden ist und Ängste verursachen mag, so lohnt es doch. Beobachtet man die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen, so liegt die Vermutung nahe, dass die zu bewältigenden, komplexen Herausforderungen allein durch motivierte, kreative und leistungsfähige Teams gemeistert werden können! Solche Teams aber können nur im Rahmen des skizzierten Führungsverständnisses entstehen und sich kontinuierlich weiterentwickeln.

Selbstorganisation

Führen bedeutet heute zudem, Selbstorganisation zu ermöglichen und zu nutzen. Dazu muss eine „Organisation im organisierten Rahmen“ geschaffen werden, die maximale Freiheitsgrade und Selbstverantwortung für das Team bereitstellt. Ein wesentlicher Aspekt für das Gelingen selbstorganisierten Arbeitens ist dabei die Fähigkeit gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Auch dabei kann /sollte /muss die neue Führungskraft Moderator, Coach und Trainer sein.

Je weniger die Führungskraft leiten, lenken, korrigieren muss, desto besser macht sie ihren Job, desto besser gelingt Facilitative Leadership oder „Neues Führen“.


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Der Weg ist das Ziel

Ein Beitrag von Josef W. Seifert –

Es war einmal ein Team…, das bestand aus 7 fleißigen Mitarbeitern und 7 fleißigen Mitarbeiterinnen. Sie waren sehr froh und glücklich miteinander. Sie arbeiteten perfekt zusammen, wie ein Uhrwerk und sie hatten Spaß dabei, viel Spaß. Sie mochten sich sogar. Alles, was nicht der Teamchef zu entscheiden hatte, entschieden sie gemeinsam. Alle hielten sich an Absprachen. Sie unterstützen sich gegenseitig und dachten für einander aneinander, so dass ihnen die Arbeit flott von der Hand ging und sie viel Lob ernteten. Eines Tages aber, sie hatten gar nicht bemerkt, wie es dazu kam, waren sie nicht mehr glücklich miteinander. Irgendwie hatte es sich ergeben, dass jeder nur noch für sich dachte. Manchmal waren sie auch enttäuscht von einander oder sogar frustriert. Gelegentlich gaben es Streit im Team… Da beschloß das Team, sich entwickeln zu lassen. Kurz entschlossen engagierten sie einen Teamflüsterer, der auch gleich zu Werke schritt und eine Team-Ent-Wicklung abhielt. Einen ganzen Tag lang sprachen sie miteinander und spielten Spiele und feierten den Neustart …und, wenn sie nicht gestorben sind, dann arbeiten sie heute wieder glücklich und zufrieden miteinander.

So, oder so ähnlich, könnte man die gängige Vorstellung von Teamentwicklung beschreiben. Oft soll eine Gruppe von Menschen (wieder) besser zusammenwirken, zum „Team“ werden, obwohl die Voraussetzungen dafür gar nicht gegeben sind. Allzuoft soll dies in einer „Hauruck-Aktion“ passieren, am besten mal über’s Wochenende. Doch ein (Team-)Event ist keine Teamentwicklung, oder nur ein kleiner Teil davon. Teamentwicklung ist keine Ereignis, sondern ein Prozess, eine Reise, ein Weg…

Der Weg zum Team

Nicht jede Gruppe ist ein Team und nicht jede Gruppe muss eines sein. Deshalb ist zum Thema „Teamentwicklung“, die erste Überlegung die, zu klären, ob man es mit einem echten Team oder „nur“ mit einer Gruppe zu tun hat. Sollen die Menschen um die es geht, indem sie auf eine ganz spezifische Weise zusammenwirken, gemeinsam ein definiertes Ziel erreichen?

Mehrere Menschen bilden eine Gruppe, wenn diese gemeinsame Interessen haben, sie müssen nicht notwendigerweise an einem gemeinsamen Ziel arbeiten. Letzteres macht den Unterschied zum Team: Ein Team arbeitet in der Regel gemeinsam an einem Ziel oder Ergebnis. Die Mitglieder haben spezifische, zweckbezogene Rollen und Verantwortlichkeiten, die auf das Erreichen dieses Ziels ausgerichtet sind. Hier paßt das Bild des Uhrwerks: Die Zahnräder sollen nahtlos ineinander greifen und das Team soll funktionieren, „wie ein Uhrwerk“. Um es an einem einfachen Beispiel zu illustrieren: Mehrere Menschen stehen an einer Bushaltestelle. Was haben diese mit dem Bus vor, wenn er kommt? Wollen sie lediglich einsteigen und sich von A nach B transportieren lassen? Dann haben sie nur das selbe Interesse. Es ist für den einen ganz egal, ob der andere mitfährt oder nicht. Wir haben es hier also mit einer Gruppe zu tun. Oder: Haben die Menschen an der Haltestelle vor, den Bus etwa zu reinigen, sobald er ankommt? Dann müssen sie zusammenarbeiten. Wer reinigt das Fahrzeug aussen? Wer reinigt den Innenraum? Wer leert die Müllbehälter, wer putzt die Sitze…? Das gemeinsame Ziel ist ein blitzeblank gereinigter Bus binnen eines zuvor festgelegten Zeitrahmens. Wir haben es mit einem Reinigungs-Team zu tun. Dieses Team kann mehr oder weniger gut harmonieren, mehr oder weniger effizient arbeiten und es kann mehr oder weniger gut für sich sorgen.

Und hier beginnt der Weg. Ein Team muss – welche Kriterien man auch immer zugrunde legen mag – nicht per se „gut“ sein. Die Assoziation und Erwartung an ein Team ist, dass es etwas wie eine „Rasselbande“, im positiven Sinne, ist. Eine Gruppe von kooperierenden Menschen jeden Alters, die gemeinsam in einer lebendigen, ja fröhlichen, ungezwungene, vielleicht sogar unkonventionelle Weise, zusammen etwas bewerkstelligen. Hohe Expertise, hohe Effizienz in der Sache und ein Klima des Wohlwollens und der gegenseitigen Förderung. Die Vorstellung von schlechter Leistung und mieser Stimmung, führt eher zu einer Aussage, wie: Wir oder „die“ sind doch kein Team! Teamentwicklung wird daher als Tool begriffen, eine wenig/er effizientes Team, zur hoch effizienten „Rasselbande“ zu entwickeln.

Die Basis

Ein ideales Team, ein „Rasselbande-Team“ gibt es nicht, es ist eine Fiktion und wenn man so will, eine Vision, ein Fixstern, der den Weg weist. Motto: Je näher wir diesem Ideal kommen, desto besser sind wir und desto besser geht es uns. Ist ein Team – aus eigener Kraft oder von aussen aufgerufen – bereit, sich auf den Weg zu machen, müssen zwei Ebenen in den Blick geraten. Einerseits die Sachebene, die Ebene der Ziele, Zuständigkeiten, Rollen, Prozesse… und andererseits die Beziehungsebene, die Ebene des Miteinanders, des Vertrauens, der Wertschätzung… Wo der Fokus des Teamentwicklungsprozesses im jeweiligen Team liegen muss, ist individuell zu entscheiden.

Ein solides Fundament für Teamentwicklung ergibt sich, wenn man einerseits anerkennt, dass das Entscheidende das „Kommunikationsmilieu“ im Team ist, in das es zu investieren gilt, und andererseits eine Entwicklung (wie es der Name schon sagt) ein Prozess ist und, in aller Regel, eine Team-Event als Einmal-Aktion nur ein – wenn auch möglicherweise zentrales – Element sein kann.

Die Bereiche

Teamentwicklung kann viele Bereiche betreffen, an vielen Stellen ansetzen. Dabei kann es um Workshops zur Klärung von Sachfragen gehen und/oder um Treffen zur Beziehungsklärung und Beziehungsstärkung.

Sachebene 

Rein fachliche Themen, die die Inhalte des Teamauftrags angehen, sind eher nicht Gegenstand von Teamentwicklung, sondern von speziellen Fach-Workshops. Teamentwicklung fragt nach Aspekten des Zusammenwirkens, wie etwa:

  • Was ist unser Auftrag, was unser Ziel?
  • Haben wir eine Vision, welche?
  • Wie ist unsere Strategie zur Erreichung unserer Ziele?
  • Welche Prozesse müssen definiert werden?
  • Wie sind im Team die Verantwortlichkeiten verteilt?
  • Welche Regelmeetings brauchen wir? Wie sollen diese ablaufen?
  • Gibt es Raum für Selbstorganisation?

Beziehungsebene

Beziehungsthemen sind typische Teamentwicklungsthemen. Auf dieser Ebene kann es um Fragen gehen, wie:

  • Haben wir ausreichend Vertrauen ineinander?
  • Stützen wir uns gegenseitig, geben wir uns ausreichend Unterstützung?
  • Wie gehen wir mit Andersartigkeit, mit Stärken und Schwächen um?
  • Wie gehen wir mit Kritik um? Kann man bei uns „gefahrlos“ Kritik äußern?
  • Wie gehen wir mit Konflikten um? Wie geht es uns mit unserer Konfliktkultur?
  • Welche (verdeckten) Konflikte sehen wir, die wir klären sollten?

Ebenfalls denkbar ist es, einen Teamentwicklungsprozess mit einem Workshop zur „Standortbestimmung“ zu beginnen und pauschal danach zu fragen, welche Themen (endlich) in Ruhe besprochen und geklärt werden sollten. Der Anspruch muss und sollte dabei nicht sein, am Ende der Zusammenkunft ein „ideales Team“ konstituiert zu haben, sondern die Gewissheit, gemeinsam auf dem Weg zu sein, denn auch hier gilt: „Der Weg ist das Ziel!“

* * *

PS: Unser Leistungsangebot für Gruppentransforamtion – Teamentwicklung – Teamcoaching

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System[at]ische Moderation

Josef W. Seifert

Gedankensplitter zum Selbstverständnis von Moderation / Facilitation

Die Fähigkeit zu zielführender Moderation wird auch für Führungskräfte und Projektleiter immer wichtiger. Mitarbeiter wollen mehr denn je „auf Augenhöhe“ kommunizieren. Wer versucht zu dominieren, verliert rasant und radikal an Akzeptanz und wer glaubt, via „Schwarmintelligenz“ alles der Selbstorganisation des Teams überlassen zu können, der sät Ratlosigkeit und erntet Chaos.

Gefragt ist Fingerspitzengefühl, Takt und die Konzentration auf Prozessberatung und Coaching. Wer führen will, muss moderieren können und das bedeutet „auf den Punkt kommen“. Die Führungskraft als Moderator muss jede Ansicht ernst nehmen, Widersprüche unerschrocken und konstruktiv aufdecken und den Kern herausarbeiten, auf den es gerade ankommt. Gefragt ist die Fähigkeit sich von seiner Meinung so weit zu „dissoziieren“, dass andere Meinungen als gleichwertig erlebt und behandelt werden können.

Gefragt ist auch die Fertigkeit dafür Sorge zu tragen, dass Gespräche strukturiert und sinnstiftend ablaufen, dass der Meinungs- und Willensbildungsprozess erkennbar, trichterförmig von der Sammlung von Themen, Gedanken, Meinungen … auf akzeptierte, verbindliche Beschlüsse zuläuft.

Die unverzichtbare Basis dafür sind einerseits die Distanzierung von mechanistischen Machbarkeitsvorstellungen sowie monokausalen Ursache-Wirkungs-Betrachtungen und andererseits eine solide Methodenbasis zur Planung und Moderation von Gesprächen. Gute Moderation könnte man als „system[at]isch“ bezeichnen, sie fußt auf systemischem Kommunikationsverständnis und systematischem Vorgehen.

Zentraler Bezugspunkt dieser system[at]ischen Moderation ist dabei die systemtheoretische Unterscheidung zwischen dem menschlichen, psychischen System (innerseelisches Erleben) und dem zwischenmenschlichen, sozialen System (Kommunikation). Beide Systeme haben eine Systemgrenze und sind „relevante Umwelt“ für einander. Jedes System ist „operativ geschlossen“ und entscheidet aufgrund seiner inneren Struktur und Eigendynamik, auf welche Ereignisse in seiner Umwelt es wie reagiert.

Moderatoren (engl. „Facilitator“) sind keine „Macher“, sondern Prozessberater, die gezielt Fragen und Nachfragen, (methodische) Angebote machen, Impulse setzen, zwischen Sichtweisen vermitteln und so die Kommunikation und Lösungsfindung beschleunigen, erleichtern oder erst ermöglichen. Sie machen sich das in/mit einer Gruppe zu bearbeitende Thema nicht zu eigen, das Problem wechselt den Besitzer nicht. Sie (beg)leiten den Arbeitsprozess methodisch und kommunikativ, ohne jede Dominanzbestrebung.

Gefragt ist methodische und kommunikative Versiertheit, basierend auf einer Haltung der Demut, wissend, dass die Lösung nur durch das System selbst entstehen kann, die Lösung liegt immer im System. Das System, also die beteiligten Menschen, werden die ihnen zum gegebenen Zeitpunkt bestmögliche Lösung (er)finden. Moderation kann diesen Findungsprozess nicht determinieren, aber prozessbegleitend, zielführend kanalisieren: Ziele definieren und Wege anbieten, Aufmerksamkeit fokussieren, Sichtweisen versöhnen, „Kommunikationsknoten“ lösen… Erreichtes sichern.

Moderation ist systemisch und systematisch. Moderieren ohne systemische Grundhaltung oder ohne Methoden-Know-how ist, wie Klatschen mit nur einer Hand.

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© MODERATIO 2023

Sind Meetings vertane Zeit

Sind Meetings vertane Zeit?

…fragt das Magazin „Spiegel“ am 20.06.2023 und berichtet aus einer Studie in der weltweit mehr als 18.000 Menschen befragt wurden: „Vor allem die Zeit in Meetings und Besprechungen nehmen einige der Befragten nicht als gut genutzte Arbeitszeit wahr. Im Schnitt gaben die Befragten aus Deutschland an, dass sie lediglich etwas mehr als die Hälfte ihrer Meetings (53,4 Prozent) als »gute Nutzung der Arbeitszeit« ansehen. 36,5 Prozent der Meetings wurden als unnötig eingestuft.“ Die häufigsten Gründe für diesen Eindruck dürften einerseits unnötige Meetings und andererseits ineffiziente Meetings sein. Die Antwort auf die Frage, ob Meetings vertane Zeit sind kann also nur lauten: Es kommt drauf an.

 

Nötige Meetings

Die Frage, ob ein Meeting erforderlich ist oder nicht, hat einerseits eine sachlogische Komponente und andererseits eine soziale. Ein Meeting kann aus beiden Aspekten heraus sinnvoll oder wünschenswert sein, hilfreich oder erforderlich aber eben auch das Gegenteil: unnötig und kontraproduktiv.

Im sozialen Kontext kann ein Meeting Kontakt herstellen, Zusammenhalt fördern, Teamgeist festigen, Spannungen lösen, Konflikte klären.

Im sachlogischen Kontext kann ein Meeting über Sachverhalte informieren, Sachfragen klären, Problemstellungen strukturieren, Lösungen (er)finden, Pläne schmieden, Maßnahmen vereinbaren.

Damit ein Meeting nicht zu „vertaner Zeit“ wird, sollte man sich also vorab die Frage stellen, wozu konkret das angedachte Meeting dienen soll: Was konkret soll damit erreicht werden, was nicht auch einfacher, zeit- und Ressourcen schonender erreicht werden kann?

 

Effiziente Meetings

Soll ein Meeting stattfinden, weil es das Mittel der Wahl zur Erreichung einer klar skizzierte Zielsetzung ist, stellt sich die Frage nach dem Konkret Wie? 

Hierzu sind Frage zu klären, wie etwa:

  • Was sind Anlass und Zielsetzung des Meetings?
  • Wer ist für das Meeting unverzichtbar, wer muss dabei sein?
  • Welches Setting ist geeignet oder erforderlich: Besprechung, Workshop, Großgruppe?
  • Ist ein Präsenz-Meeting oder ein Online-Meeting oder die Mischform des Hybrid-Meetings die effizienteste Form die Zielsetzung zu erreichen?
  • Wie sind die konkreten Ziele der einzelnen Steps im Moderationsprozess?
  • Welche Prozess-Fragen müssen vorbereitet werden?
  • Welche Visual Guides werden benötigt?

Möglicherweise müssen auch die Räumlichkeiten vorbereitet und/oder die benötigte Technik vorab getestet werden.

Wohl wissend, dass man das Unplanbare plant, sollte ein Meeting grundsätzlich methodisch sehr sauber vorbereitet werden. Je klarer die Zielsetzung formuliert ist, je verständlicher die Prozessplanung und die Leitung durch eine Moderatorin, einen Facilitator sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Meeting den intendierten Nutzen stiftet.

 

Nachhaltige Meetings

Meetings sind kulturgeprägt und kulturprägend und insofern immer auch nachhaltig. Ein Meeting kann nicht nicht auf die Organisationskultur wirken. Wir können nicht verhindern, dass – über die jeweiligen Inhalte hinaus – die Art und Weise des Miteinanders, das Gesprächsklima, die emotionalen Erfahrungen, eine gewisse Wirkung in die Organisation hinein entfalten. Jedes Meeting bestätigt die ‚geronnene‘ Art und Weise der Gruppenkommunikation oder wirkt in Richtung Kulturveränderung, Kulturentwicklung. Ein Meeting ohne Wirkung gibt es nicht. Wir können nicht wählen, ob es wirkt, wir können nur wählen, wie es wirkt oder wie es wirken soll.

Deshalb ist es für jedes Unternehmen, jede Organisation, jedes Team, jede Führungskraft ganz zentral zu fragen, was ihre Meetings be-fördern. Fördern sie Misstrauen und Missgunst, Rechtfertigungsdruck und Einzelkämpfertum, Einsamkeit und Frust? Oder fördern sie Vertrauen, ermöglichen sie Offenheit und Authentizität? Fördern sie Initiative, Fairness, Wohlwollen, gegenseitige Unterstützung?

Klingt das zu pathetisch? Vorsicht! Jedes Meeting, ob Präsenz, Online oder Hybrid, ob kurz oder lang, ist ein Mosaikstein in einer nachhaltigen Kulturentwicklung!

Wem das zu pathetisch klingt, der möge mir diesen Vergleich erlauben: Was bewirkt einmalig drei Minuten Zähne putzen? Was bewirkt täglich drei Minuten Zähne putzen? Und: Wenn nur eine Familie im Dorf die Zähne putzt ist das für diese Familie lohnenswert, für eine gesundes Dorf ist es aber nicht ausreichend… 

In diesem Sinne: Viel Elan und viel Erfolg für die Gestaltung von Meetings, die nicht als vertane Zeit erlebt werden, sondern als sehr, sehr gut investierte Zeit. Jede Mühe lohnt!

Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert

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© 2024 by MODERATIO

 

Die Sache mit dem Selbstwert

Es scheint ein Bedürfnis zu geben, das Abraham Maslow in seiner Bedürfnispyramide zu erwähnen vergessen hat, ein Bedürfnis nach „Ich-lass-die-anderen-alt-aussehen“. Und: Dieses Bestreben hat nach oben keine Grenze. Je weiter die anderen zurückbleiben, desto besser, je größer der Abstand, desto überlegener fühlt sich der, der „oben“ ist. Das gilt freilich für den einen mehr und für die anderen weniger doch jeder kennt dieses Gefühl. Der kleine Bruder dieses Bedürfnisses, dem wir in jeder Moderation begegnen, ist das „recht haben müssen“. Bleibt die Frage, wozu das gut sein soll: Wieso eigentlich geben wir uns so viel Mühe andere zu beeindrucken? Wieso wollen wir recht haben? Woher kommt das? Eine individualpsychologische Erklärung:

Der Mensch kommt als absolut unschuldiges, lebensbejahendes, völlig schutzloses, auf Überleben programmiertes Wesen auf die Welt. Er braucht von Anfang an Nahrung und Pflege, Wärme und Zuwendung kurz: „die Andern“. Im Laufe des Heranwachsens erlebt der kleine Mensch, dass diese andern, in der Regel die Eltern, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, scheinbar „alles können“, „alles wissen“ und „alles dürfen“. Er erlebt sich selbst zwangsläufig als klein und abhängig, wenig/er potent und wenig/er wert. Dieses Erleben des eigenen Unvermögens, der eigenen „Minderwertigkeit“ und der Abhängigkeit vom Wohlwollen der andern gräbt sich so tief in sein Gedächtnis und in seine Seele, dass es nie mehr völlig verblassen wird.

Ganz im Gegenteil, der Mensch wird lebenslang „erzogen“. Zeigen ihm zunächst die Eltern was er noch nicht (gut genug) kann und in welcher Hinsicht er noch nicht genügt, verstärken dieses Gefühl der Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit die Erzieher und Lehrer, die Vorgesetzten und Chefs… Die Werbung tut ihr übriges, indem sie den Menschen erklärt, was sie alles machen und haben müssen, um „richtig“ zu sein… die Medien präsentieren im Dauerfeuer Vorbilder, die vermeintlich alles richtig machen und zum Maßstab werden, für das was man können und haben sollte, um liebenswert zu sein: Schneller, höher, weiter… und der einzelne bleibt zwangsläufig immer hinter den hochstilisierten Ansprüchen zurück…

Wieso aber werden wir lebenslang auf vermeintliche Defizite, auf Schwächen und Fehler hingewiesen und dadurch geschwächt? Wieso werden nicht unsere Stärken anerkannt und dick gelobt? Wieso stärken wir einander nicht, anstatt uns zu schwächen? Es möchte doch jeder gesehen, anerkannt, gelobt werden.

Das Problem an der Sache ist, dass das Ganze ein Vicious Circle, ein Teufelskreis ist: Nur wer hat, kann geben. Da wir, wie oben skizziert, von Kindesbeinen an, – der eine mehr, die andere weniger – mit Anerkennung chronisch unterversorgt sind, sind wir mit unserem Selbstwertkonto im Minus. Dadurch entsteht letztendlich das Dilemma dass alle, die auf Defizite hinweisen, davon profitieren. Kritik stellt einen Unterschied her, der eine hat recht, die andere nicht. Sich im Recht zu wähnen, erzeugt ein Gefühl von Überlegenheit, jede Kritik, ist sozusagen „Futter“ für das eigene Selbstwertgefühl. Je weniger Bestätigung jemand außen bekommt, desto entschiedener wird dessen Kritik an anderen.

In einem Gespräch, einer Auseinandersetzung, einer Diskussion Recht zu bekommen hat daher einen hohen Belohnungswert. Das gilt natürlich auch im Rahmen eines Meetings, eines Workshops oder einer Online-Diskussion.

Als Moderatorin, Facilitator oder Leiter eines Gruppendialogs ist man deshalb gut beraten, neben der inhaltlichen Sachebene, auch die emotionale Beziehungsebene dahingehend „auf dem Radar“ zu haben, dass man sich fragt, ob jemand der (sehr) emotional und/oder kompromisslos argumentiert, gerade einen „Selbstwert-Sieg“ braucht. Es geht also darum zu erkennen, ob jemand gerade Recht bekommen „muss“, weil das Selbstwertkonto sonst zu sehr ins Minus rutscht.

Hat der Moderator diesen Eindruck, kann er etwa das Selbstwertkonto dadurch bedienen, dass er die Argumentation, den geäußerten Gedankengang, das Einbringen der Perspektive und/oder das große Engagement, explizit anerkennt – und so auf das „Selbstwertkonto“ einzahlt – ohne in der Sache Stellung zu beziehen.

Gemäß dem Motto „Nur wer hat, kann geben.“, vergrößert man so, durch moderatorisches Geschick, die Chance, eine größere Offenheit in der Sache zu erreichen.

Recht haben zu wollen sollte also nicht als Dummheit, Sturheit oder Böswilligkeit gewertet werden, sondern als das was es ist nämlich, ein Versuch auf das chronisch unterversorgte „Selbstwertkonto“ einzuzahlen.

Was Peter über Paul sagt,
hat oft mehr mit Peter zu tun,
als mit Paul.

Die Grundhaltung des Moderators ist – nicht zuletzt, weil er um diese „Mechanik“ weiß – von Respekt und Wohlwollen geprägt. Die Idee ist dabei die, „ganz nebenbei“ eine Gesprächskultur der gegenseitigen Wertschätzung zu etablieren, wie sie in der Geschichte von Himmel und Hölle meisterhaft versinnbildlicht ist:

Himmel und Hölle [Quelle unbekannt]

Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ – „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.

Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen.Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.

Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.

Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.

Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.

Da weiß der Rabbi, wo er ist.

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

© MODERATIO 2024

Der Konflikt ist rund.

Kausalität ist im sozialen Konflikt stets zirkulär. Im Streit, gleicht die Frage nach der Schuld dem Versuch, in einem Kreis den Anfang oder das Ende zu finden, aber das gibt es nicht. Wer glaubt den Anfang zu kennen, hat diesen nicht ge-funden, sondern er-funden. In streitigen Fragen bleibt immer die Frage, was zuerst war, die Henne oder das Ei, die nicht entscheidbar ist. Macht man im Konflikt einen Schuldigen aus, so ist das eine subjektive Setzung, eine Schuld-Zuweisung, ein Alibi. Der Versuch, mit Begriffen, wie „gut“ und „böse“, „richtig“ und „falsch“, „Schuld“ und „Unschuld“… zu arbeiten, ist weder klug noch zielführend.

Rolle gut und böse, richtig und falsch zu einer einzigen Kugel, wickle sie in Papier, und wirf sie weg. [nach Bankei Eitaku] 


Der einzige Weg,

der aus einem Konflikt führen kann ist der, zunächst anzuerkennen, was ist. Die schwierigste Übung dürfte dabei der Verzicht auf Wertung sein, der Verzicht darauf im Besitz der einzig legitimen Sichtweise zu sein. Anzuerkennen was ist, bedeutet auch anzuerkennen, dass die andere Seite eine Sicht auf die Dinge hat, die ganz offensichtlich – aus welchen Gründen auch immer – ebenfalls möglich ist. Es bestehen unterschiedliche Wahrnehmungen, Vermutungen, Bewertungen, Wünsche, Ziele… Erst wenn es gelingt, dies als legitim und gleich-wertig anzunehmen ohne sich innerlich dagegen aufzulehnen, kann ein zweiter Schritt gelingen.

Die Kunst besteht darin, etwas als gegeben zu akzeptieren, auch wenn man es möglicherweise gar nicht gut heißt, ohne dagegen zu opponieren. 

Ich freue mich, wenn es regnet, weil wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. [Karl Valentin]

Ist ein Anerkennen erreicht, ist es ein Katzensprung zum Modus Vivendi, einem „erträglichen Zusammenleben“, dessen Ausformulierung man als Minimalziel einer Konfliktklärung betrachten könnte. Jetzt kann gefragt werden: Was machen wir denn nun, wenn es nun mal so ist, wie es ist? Welche Optionen haben wir? Was ist denk-bar? Was ist mach-bar?  Was wollen wir jetzt, konkret wie versuchen? Wie organisieren wir unser zukünftiges Mit-einander?

Oder, um es mit Willy Brandt zu sagen, das Ziel ist es, „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen.“

Gut gebrüllt Löwe,

sagt Shakespeare im Sommernachtstraum und meint, leichter gesagt als getan oder: Wie soll das gehen? Wie sollen Konfliktparteien dahin kommen, das anzuerkennen was ist, obwohl sie exakt das gar nicht haben wollen? 

Im Businesskontext, konkreter im Kontext von Führung, Team-Performance und New Work, kann der Teamleiter als Moderator oder Facilitator helfen, diese „Konfliktlösungsbasis“ dadurch zu erreichen, dass er einen sehr verbreiteten Denkfehler klärt:

Der Denkfehler besteht darin, dass Menschen meist davon ausgehen dass, etwas als gegeben anzuerkennen, gleichbedeutend ist mit Zustimmung: Wenn es regnet, kann ich diese Tatsache zwar leugnen und so tun, als ob es nicht so wäre, regnen wird es trotzdem. Wenn ich anerkenne, dass es regnet, heißt das nicht, dass ich ich das auch gut finde und, um nochmal Karl Valentin zu bemühen, mich auch freue. Im Businesskontext: Wenn jemand einen anderen kritisiert weil dieser, seiner Meinung nach, Vereinbarungen nicht einhält, kann der Kritisierte anerkennen, dass der andere das so sieht, ohne ihm zuzustimmen. Wahrnehmung und Bewertung sind zwei, zeitlich auf einander folgende, Dinge. Anerkennen könnte also etwa so lauten: „Ich weiß, dass Du das so siehst, Deiner Meinung nach halte ich Vereinbarungen nicht ein. Ich sehe, dass Du das so siehst, das ist Dein gutes Recht.“ Im Idealfall vielleicht sogar mit dem Zusatz: „Ich kann verstehen, dass Du das so siehst.“

Anzuerkennen was ist, ist keine „gute Tat“, kein Eingeständnis einer Schwäche, kein Nachgeben, sondern schlicht die Anerkennung der Tatsache, dass man nicht im Besitz der Wahrheit ist.  

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. [Heinz von Förster]


Der Konflikt ist rund.

Ein Konflikt ist ein Teufelskreis: Handlungen – aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Interpretationen geboren – ergänzen sich so, dass die Situation immer schlimmer wird. Beide Seiten sind davon überzeugt, recht zu haben. Beide Seiten re-agieren auf den jeweils anderen, die Negativspirale dreht sich…

Für professionelle Konfliktmoderation muss man daher in der Lage sein, eine „allparteiliche“ Haltung einzunehmen und, um es in einem Bild zu sagen: schwarz und weiß gleich-wertig zu behandeln. Damit dies gelingen kann, bedarf es der festen Überzeugung, dass es ‚gut‘ und ‚böse‘, ‚richtig‘ und ‚falsch‘ , ‚faktisch‘ und ‚objektiv‘, gar nicht gibt. Jede Sichtweise ist eine mögliche Sichtweise, jede Meinung ist eine gültige Meinung, jeder Beitrag ist ernst zu nehmen. Nur aus diesem Verständnis heraus, kann eine bedingungslos wohlwollende Haltung entstehen, die es den Menschen ermöglicht, sich zu öffnen und sich aufrichtig einzubringen.

„Alles kann einem Menschen genommen werden, nur eines nicht: die Wahl der eigenen Haltung in der gegebenen Situation und die Wahl der Handlung.“ [Viktor Frankl]

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

© 2024, Josef W. Seifert, MODERATIO