Es ist eine Stärke, den anderen so annehmen zu können wie er ist, auch wenn einem dieser mehr oder weniger komisch, seltsam oder befremdlich vorkommt. Den meisten Menschen fällt dies schwer, insbesondere, wenn es Spannungen gibt …
Um Menschen in ihrer ganz persönlichen Art die Welt zu sehen, zu empfinden und zu gestalten, verstehen zu können, ist die Typologie des Münchner Psychologen Fritz Riemann sehr hilfreich. Dies besonders deshalb, weil sie mit nur vier Dimensionen auskommt und so ein alltagstaugliches Beobachtungsraster bereitstellt. Riemann nimmt als Kondensationskern für seine Persönlichkeitstypologie den Umgang mit der Angst, den jeder Mensch lernen muss.
Angst ist ein Gefühl, das der Mensch zum Überleben braucht. Er muss Gefahren als solche erkennen und durch (Flucht oder Verteidigung) darauf regieren können. Fritz Riemann teilt die Angst – die vom Menschsein nicht zu trennen ist – in vier „Grundformen der Angst“ ein. Dabei stehen sich immer zwei Grundformen gegenüber und bilden je ein Kontinuum, zu den Dimensionen „Raum“ und „Zeit“:
Dimension Raum
Aus dem Wunsch nach Nähe und Geborgenheit entsteht die Angst davor, von seiner sozialen Umwelt getrennt und sozial isoliert zu werden. Aus dem Wunsch selbst bestimmt und unabhängig zu sein entsteht die Angst, seine Freiheit einzubüßen und von den anderen vereinnahmt zu werden. Diese Ängste, zwischen Nähe und Distanz, bilden die Dimension „Raum“ ab.
Dimension Zeit
Aus der Neugierde und dem Wunsch nach Entdeckungen und Neuem entsteht die Angst vor Stillstand und Endgültigkeit. Dem Wunsch nach Sicherheit und Verlässlichkeit steht die Angst vor Unberechenbarkeit und Chaos gegenüber. Diese Ängste, zwischen Dauer und Wandel, bilden die Dimension „Zeit“ ab.
Abb.1: Die Dimensionen „Raum“ und „Zeit“
Menschentypen
Wir können davon ausgehen, dass jeder Mensch jede dieser Angstformen aus eigenem Erleben kennt. Jeder Mensch wird dabei – je nach seinem individuellen Gewordensein – die eine oder andere Grundform stärker kennen als die anderen Formen. Dies wird sein Leben, seinen Charakter, ganz zentral (mit)bestimmen. Dadurch, kann man (in Anlehnung an das „Riemann-Thomann-Modell“) auch von den vier Menschen“typen“, Nähe- und Distanz- sowie Wandel- und Dauertyp sprechen, wie dies Abbildung 1 symbolisch zeigt.
Dieses Typenquadrat® ist so wichtig, weil die Art wie jemand die Welt begreift, wie jemand empfindet und sein Leben organisiert, wie er/sie anderen begegnet, davon geprägt ist, wie jemand sich im Laufe seines Lebens in Raum und Zeit „verortet“ hat. Während für den einen Ordnung das halbe Leben ist, interessiert sich der andere mehr für die zweite Hälfte. Für diesen ist „kreatives Chaos“ wichtig … Das Verständnis für einander hält sich diesbezüglich möglicherweise in Grenzen und führt vielleicht auch zu wiederkehrenden Irritationen in der Zusammenarbeit, zu „Minitraumen“, die sich zu Spannungen aufbauen und einen fruchtbaren Boden für Konflikte ergeben. Im Konflikt hört man dann Aussagen, wie: „Wie kann man nur…!“, „Ich werde nie verstehen, wie man …“, „So ein Korinthenkacker.“, „Dieser Chaot!“, „“, „So ein arroganter Schnösel!“ usw. Im Konflikt werden die Konturen besonders scharf gezeichnet.
Was im Konflikt zunehmend verloren geht, ist das Verständnis für das Anderssein des anderen, das nicht besser und nicht schlechter ist, als die eigene Art. Konfliktparteien benutzen in ihrer eingeschränkten Wahrnehmungs- und Toleranzfähigkeit Extreme zur Verdeutlichung ihres eigenen Empfindens.
In der Konfliktmoderation gehört es zu den Aufgaben des Mediators, Verständnis für einander zu fördern. Dazu muss er die eine oder andere Aussage relativieren und/oder „übersetzten“. Möglich wird das dadurch, dass man jedem Wert, jeder Eigenschaft einen Gegenwert und einen Unwert zuordnen kann (vgl. Wertequadrat nach Hartmann).
DAUER versus WANDEL
Das Positive: Jemand ist exakt in seinen Angaben, genau in seinen Ausarbeitungen, im höchsten Maße korrekt und zuverlässig.
Übertreibt er diese Stärken, so kippt es und es kommt zum bekannten zuviel des Guten!
Alle Ding‘ sind Gift und nichts ohn‘ Gift; allein die Dosis macht,
dass ein Ding kein Gift ist.
Paracelsus
Für die Dauer-Strebung bedeutet das, dass Stärken, wie Genauigkeit, Ausdauer, Beständigkeit, Stabilität, Zuverlässigkeit bei Übertreibung zu destruktiver Zwanghaftigkeit, Sturheit und Prinzipienreiterei „entarten“.
Die Stärken des wandel-starken, wie Improvisationstalent, Begeisterungsfähigkeit, Kreativität und Erfindungsgeist verkommen zu Gewurstel, Schlamperei, Unordnung und Chaos.
NÄHE versus DISTANZ
Die menschliche Wärme des Nähe-Menschen, der kontaktfreudig und hilfsbereit ist, den Austausch sucht und gut zuhören kann, wird zu Aufdringlichkeit, Anbiedern und Tratscherei …
Der distanz-starke Kollege, bei dem man stets weiß, wie man dran ist, der nein sagt, wenn er nein meint, der sich durch Selbständigkeit, klaren Sachverstand und Entscheidungsstärke auszeichnet, wird zum Einzelgänger, Eigenbrötler und verschrobenen Sonderling, der kaum mehr zu erreichen ist, arrogant, sarkastisch und verletzend wirkt.
Im Konflikt werden die Konturen des Andersseins schärfer wahrgenommen und die Konfliktparteien sehen vor allem die „Unwerte“ der jeweiligen Orientierung des/der anderen besonders plastisch.
Die Moral von der Geschicht
Wenn die Konfliktparteien aus unterschiedlichen „Ecken des Quadrates“ argumentieren muss der Moderator „übersetzen“. Dazu ist es zunächst wichtig zu erkennen, welcher „Typ“ der einzelne ist, welche „Sprache der Gefühle“ er spricht. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn zwei Menschen Dialekt sprechen, der eine spricht breitestes Bayerisch und die andere sächselt was das Zeug hält. Im Konfliktdialog wird aus dem Bayerischen Amerikanisch und aus Sächsisch wird Mandarin. Jeder der beiden versteht die Sprache des anderen bestenfalls rudimentär. Wenn er sich sehr bemüht kann er mehr erahnen als verstehen, was der andere meint.
„Heimatgebiete“ und Argumente
In Abwandlung des bekannten Bibelwortes „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! (1. Johannes 2,1-6)“ gilt im Konfliktdialog: An ihren Worten werdet ihr sie erkennen!
NÄHE-Argumente:
Ich brauche …
… den Dialog mit andern.
… den Austausch mit andern.
… die Abstimmung mit andern.
… Teamarbeit.
… das Gefühl, nicht allein dazustehen mit meiner Meinung.
DISTANZ-Argumente:
Ich brauche …
… Zeit für mich ganz allein.
… eine gewisse Distanz.
… das Gefühl, dass ich eine eigene Meinung haben darf.
DAUER-Argumente:
Ich brauche …
… Ordnung.
… das Gefühl, dass nicht alles, kaum ist es entschieden, sofort wieder umgeschmissen wird.
… verlässliche Zusagen.
WANDEL-Argumente:
Ich brauche …
… Bewegung
… Neues
… die Möglichkeit was auszuprobieren.
… das Gefühl, dass sich was bewegt.
Die Kunst besteht nun darin, das Gesagte z.B. mit Hilfe des „Doubelns“ (vgl. Seifert: Konfliktmoderation), in die Sprache des jeweils andern zu übersetzen: „Ich finde das blöd, wenn Du dauernd angeschissen kommst, um mit mir Banalitäten zu erörtern. Ich kann dieses Gequatsche nicht haben!“ klingt dann durch den Moderator übersetzt so: „Ich brauche Zeiten in denen ich ungestört arbeiten kann, sonst kriege ich keinen brauchbaren Arbeitsrhythmus für mich hin. Wenn Du unangemeldet kommst, fliege ich aus meinem Rhythmus.“
Wenn der Moderator in der Konfliktklärung oder in anderem Zusammenhang der Manager, die Führungskraft, der Projektleiter … es schafft, zu erkennen und anzuerkennen, dass andere in ihrem „inneren Typenquadrat“ anders verortet sind und dies nicht besser oder schlechter ist, als andere Wahrnehmungspräferenzen, sondern nur anders, dann gelingt es leichter erfolgreiche Gespräche zu führen und im Konfliktfall zu moderieren.
Quelle: Josef W. Seifert – “Konfliktmoderation“ – Gabal Verlag, Offenbach
Inhalt der Ausbildung MODERATIO KonfliktModerator:in (MKM)
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