Der Konflikt ist rund.

Kausalität ist im sozialen Konflikt stets zirkulär. Im Streit, gleicht die Frage nach der Schuld dem Versuch, in einem Kreis den Anfang oder das Ende zu finden, aber das gibt es nicht. Wer glaubt den Anfang zu kennen, hat diesen nicht ge-funden, sondern er-funden. In streitigen Fragen bleibt immer die Frage, was zuerst war, die Henne oder das Ei, die nicht entscheidbar ist. Macht man im Konflikt einen Schuldigen aus, so ist das eine subjektive Setzung, eine Schuld-Zuweisung, ein Alibi. Der Versuch, mit Begriffen, wie „gut“ und „böse“, „richtig“ und „falsch“, „Schuld“ und „Unschuld“… zu arbeiten, ist weder klug noch zielführend.

Rolle gut und böse, richtig und falsch zu einer einzigen Kugel, wickle sie in Papier, und wirf sie weg. [nach Bankei Eitaku] 


Der einzige Weg,

der aus einem Konflikt führen kann ist der, zunächst anzuerkennen, was ist. Die schwierigste Übung dürfte dabei der Verzicht auf Wertung sein, der Verzicht darauf im Besitz der einzig legitimen Sichtweise zu sein. Anzuerkennen was ist, bedeutet auch anzuerkennen, dass die andere Seite eine Sicht auf die Dinge hat, die ganz offensichtlich – aus welchen Gründen auch immer – ebenfalls möglich ist. Es bestehen unterschiedliche Wahrnehmungen, Vermutungen, Bewertungen, Wünsche, Ziele… Erst wenn es gelingt, dies als legitim und gleich-wertig anzunehmen ohne sich innerlich dagegen aufzulehnen, kann ein zweiter Schritt gelingen.

Die Kunst besteht darin, etwas als gegeben zu akzeptieren, auch wenn man es möglicherweise gar nicht gut heißt, ohne dagegen zu opponieren. 

Ich freue mich, wenn es regnet, weil wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. [Karl Valentin]

Ist ein Anerkennen erreicht, ist es ein Katzensprung zum Modus Vivendi, einem „erträglichen Zusammenleben“, dessen Ausformulierung man als Minimalziel einer Konfliktklärung betrachten könnte. Jetzt kann gefragt werden: Was machen wir denn nun, wenn es nun mal so ist, wie es ist? Welche Optionen haben wir? Was ist denk-bar? Was ist mach-bar?  Was wollen wir jetzt, konkret wie versuchen? Wie organisieren wir unser zukünftiges Mit-einander?

Oder, um es mit Willy Brandt zu sagen, das Ziel ist es, „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen.“

Gut gebrüllt Löwe,

sagt Shakespeare im Sommernachtstraum und meint, leichter gesagt als getan oder: Wie soll das gehen? Wie sollen Konfliktparteien dahin kommen, das anzuerkennen was ist, obwohl sie exakt das gar nicht haben wollen? 

Im Businesskontext, konkreter im Kontext von Führung, Team-Performance und New Work, kann der Teamleiter als Moderator oder Facilitator helfen, diese „Konfliktlösungsbasis“ dadurch zu erreichen, dass er einen sehr verbreiteten Denkfehler klärt:

Der Denkfehler besteht darin, dass Menschen meist davon ausgehen dass, etwas als gegeben anzuerkennen, gleichbedeutend ist mit Zustimmung: Wenn es regnet, kann ich diese Tatsache zwar leugnen und so tun, als ob es nicht so wäre, regnen wird es trotzdem. Wenn ich anerkenne, dass es regnet, heißt das nicht, dass ich ich das auch gut finde und, um nochmal Karl Valentin zu bemühen, mich auch freue. Im Businesskontext: Wenn jemand einen anderen kritisiert weil dieser, seiner Meinung nach, Vereinbarungen nicht einhält, kann der Kritisierte anerkennen, dass der andere das so sieht, ohne ihm zuzustimmen. Wahrnehmung und Bewertung sind zwei, zeitlich auf einander folgende, Dinge. Anerkennen könnte also etwa so lauten: „Ich weiß, dass Du das so siehst, Deiner Meinung nach halte ich Vereinbarungen nicht ein. Ich sehe, dass Du das so siehst, das ist Dein gutes Recht.“ Im Idealfall vielleicht sogar mit dem Zusatz: „Ich kann verstehen, dass Du das so siehst.“

Anzuerkennen was ist, ist keine „gute Tat“, kein Eingeständnis einer Schwäche, kein Nachgeben, sondern schlicht die Anerkennung der Tatsache, dass man nicht im Besitz der Wahrheit ist.  

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. [Heinz von Förster]


Der Konflikt ist rund.

Ein Konflikt ist ein Teufelskreis: Handlungen – aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Interpretationen geboren – ergänzen sich so, dass die Situation immer schlimmer wird. Beide Seiten sind davon überzeugt, recht zu haben. Beide Seiten re-agieren auf den jeweils anderen, die Negativspirale dreht sich…

Für professionelle Konfliktmoderation muss man daher in der Lage sein, eine „allparteiliche“ Haltung einzunehmen und, um es in einem Bild zu sagen: schwarz und weiß gleich-wertig zu behandeln. Damit dies gelingen kann, bedarf es der festen Überzeugung, dass es ‚gut‘ und ‚böse‘, ‚richtig‘ und ‚falsch‘ , ‚faktisch‘ und ‚objektiv‘, gar nicht gibt. Jede Sichtweise ist eine mögliche Sichtweise, jede Meinung ist eine gültige Meinung, jeder Beitrag ist ernst zu nehmen. Nur aus diesem Verständnis heraus, kann eine bedingungslos wohlwollende Haltung entstehen, die es den Menschen ermöglicht, sich zu öffnen und sich aufrichtig einzubringen.

„Alles kann einem Menschen genommen werden, nur eines nicht: die Wahl der eigenen Haltung in der gegebenen Situation und die Wahl der Handlung.“ [Viktor Frankl]

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

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