SIZE matters?

Begegnungen und Austausch sind in einem großen Online-Event nicht möglich. Dachte ich…

Nicht nur in kleineren Dialogformaten sind wir in den letzten 3 Monaten „online-fit“ geworden. Auch größere Veranstaltungen sind ins Internet gewandert. Online-Vorträge, Webinare und virtuelle Panels gehören bereits zu unserem Alltag.

Was in kleinen Runden schon ganz gut funktioniert, vermisse ich im großen Rahmen allerdings oft: Austausch und Dialog. Die Interaktion mit den Vortragenden, das Gespräch mit Gleichgesinnten und Andersdenkenden, das Kennenlernen von Menschen, die ich vorher noch nicht gekannt habe, kurzum: Begegnungen, wie sie uns in Live-Veranstaltungen ganz selbstverständlich sind.

Aber die Szene ist kreativ und probiert viel aus. Sehr zu meiner Freude. Hier ein paar Ideen, wie wir unsere Online-Events aus der sozialen Anonymität herausholen.

Ein Hashtag in Ehren …

Klar, dass ein Event mit größerem Publikum keine Vorstellungsrunde zulässt. Aber vielleicht magst Du Deine Gäste fragen, mit welchen 1-2 Hashtags sie sich beschreiben würden? In den Chat geschrieben dauert das Ganze keine 2 Minuten und bringt viel soziale Energie ins Online-Event. Und auch das eine oder andere Schmunzeln über besonders kreative #hashtags.

Im rotierenden Austausch …

Die Grundidee von World Cafe oder Business Speed Dating kennen wir schon aus der Live-Welt: gemeint ist der Austausch mit wechselnden Gesprächspartnern. Auch virtuell ist das schnell und unkompliziert umgesetzt. Einzige Voraussetzung: dein Conferencing-Tool braucht die Funktion „Break Out Sessions“. Damit wird die große Gruppe auf Knopfdruck in kleinere Teams geteilt, die miteinander ins Gespräch kommen.

Blitzlichter und Stimmungsbarometer …

Nicht immer muss ein Thema im Gespräch erörtert werden. Stimmungs- oder Feedbackabfragen in Echtzeit können binnen weniger Sekunden die Meinung eines Publikums wiedergeben und erzeugen so ein WIR-Gefühl im Online-Raum. Slido.com, mentimeter.com & Co. sind hier dankbare Begleiter – viele Conferencing-Plattformen haben auch schon eigene Voting-Tools mit dabei.

Apropos Fragen …

Damit sind wir bei der Frage, wie wir mit den Fragen aus dem Publikum umgehen. Oft schreiben die Gäste ihre Fragen in den Chat – die Moderation gibt sie an den Vortragenden oder das Panel weiter. Eine schöne Ergänzung ist, wenn die Teilnehmenden die Fragen anderer „liken“ oder sogar kommentieren können. So entsteht ein Ranking der beliebtesten Fragen und ein guter Austausch im und mit dem Publikum.

Das Beste aus beiden Welten …

Die virtuelle Kaffeepause, die Online-Weinverkostung und ähnliche Ideen sind der Versuch, der technischen Barriere zwischen uns zu trotzen und uns einander auch über die Distanz hinweg näher zu bringen. Vor kurzem erhielt ich von einem Veranstalter ein „Care-Paket“ nach Hause geschickt. Der Inhalt: ein Conference-Badge mit den Zugangsdaten für die virtuelle Konferenz und einem Link, wo ich mich schon im Vorfeld mit anderen Teilnehmenden vernetzen konnte. Und: ein Säckchen mit Nüssen als Pausensnack 😉

Mein Fazit: auch im großen Online-Setting ist offenbar viel Zwischenmenschliches möglich. Es braucht ein bisschen Kreativität und eine gute Kenntnis der Online-Landschaft. Aber dann steht dem virtuellen Networking nichts mehr im Weg.

Bettina Kerschbaumer-Schramek ist Moderatorin, Moderationstrainerin und Auftrittscoach. Sie ist Partnerin von MODERATIO und begleitet seit 15 Jahren Kongresse, Podiumsdiskussionen, BarCamps & Co. Live und online.


© 2020 MODERATIO

Wer braucht Regeln?

Die verflixte Sache mit den Regeln: wir lieben und wir hassen sie.

Nach gefühlten 100 Online-Meetings, -Events und -Webinaren erlaube ich mir eine klare Haltung: Wir brauchen Regeln. Online-Treffen mit einer „Etikette“ laufen einfach runder, effizienter und lebendiger.

Aber die Sache mit den Regeln ist paradox. Auf der einen Seite haben sie einen bitteren – weil bevormundenden – Beigeschmack. Wer lässt sich schon gerne sagen, wie er sich zu verhalten hat? Gleichzeitig aber wünschen wir uns – gerade im virtuellen Raum – eine gemeinsame Richtlinie, die dann bitte auch für alle gilt.

Kein leichter Job für diejenigen, die solche Online-Settings moderieren. Ich möchte heute ein paar Gedanken dazu teilen:

Regeln werden durch Verhalten gemacht

Auch wenn wir keine Regeln vereinbaren, sie etablieren sich automatisch durch „Tun“ und „Duldung“. Wenn es in einer Gruppe Personen gibt, die immer wieder mal anderen ins Wort fallen, dann ist das ein „geduldetes“ Verhalten und wird damit zum Gewohnheitsrecht. Andere werden sich diesem Verhalten anschließen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Pünktlichkeit, der Sprechdisziplin, dem Feedbackverhalten, etc. (sehr empfehlenswert dazu auch: Josef W. Seifert, Gruppendynamik und Konfliktmanagement in moderierten Gruppen, Seite 51 ff.).

Mein Vorschlag: mach einen Vorschlag

Es lohnt sich also, die Sache mit den Regeln proaktiv in die Hand zu nehmen. Aber das ist eine haarige Geschichte: wer gleich zu Beginn mit den Regeln daherkommt, kann schon mal Sympathiepunkte verspielen. Viel besser kommt da schon ein „Vorschlag“ an, der in einer „Vereinbarung“ endet. Zum Beispiel: „… Wie wollen wir mit den Pausen umgehen? Ist es OK, wenn wir etwa alle 60 Minuten eine kurze Pause einplanen – ich dachte so an 10 Minuten? Ist es Ihnen dann möglich, pünktlich wieder zurück zu sein?“ So vereinbart steckt ein ganz anderes Commitment hinter der Regel „Lasst uns nach den Pausen pünktlich weitermachen“. Und: auch die Teilnehmenden können Vorschläge einbringen.

Souveräne Konsequenz beim Regelbruch

Ein Regelbruch muss natürlich besprochen werden, denn die „Etikette“ funktioniert ja nur, wenn sich alle drauf verlassen können. Beim Regelbruch einzuschreiten ist zugegebenermaßen der unangenehmste Teil dieser Geschichte 😉. Mir hilft hier ein wohlwollender Zugang, der erneut die Gruppe zum Dialog einlädt. Das könnte so klingen: „… wir haben uns zu Beginn auf 10 Minuten Pause verständigt – das ist uns jetzt nicht gelungen. Wo ist das Problem? Brauchen wir längere Pausen? Oder sollen wir weitermachen, auch wenn nicht alle da sind?“.

Mein Fazit: Kein leichtes Thema, aber eines das die Moderationsrolle sehr aufwertet und viel Entspannung ins Online-Geschehen bringt. 

Wenn ihr konkrete Fragen oder Wünsche habt, schreibt mir bitte. Gerne berücksichtige ich euer Feedback in den kommenden Beiträgen.

Bettina Kerschbaumer-Schramek ist Moderatorin, Moderationstrainerin und Auftrittscoach. Sie ist Partnerin von MODERATIO und begleitet seit 15 Jahren Kongresse, Podiumsdiskussionen, BarCamps & Co. Live und online.


© 2020 MODERATIO

Facilitative Leadership

Dass Organisationen agiler werden müssen, wollen sie morgen noch am Markt bestehen, dürfte kaum mehr jemand ernsthaft bezweifeln. Dass Führung dabei eine zentrale Rolle spielt, auch nicht.

Ein Aspekt, der in diesem Kontext unmittelbar in den Blick gerät, ist die Beschleunigung von Entscheidungen. Führungskräfte müssen schneller entscheiden oder besser: gar nicht mehr entscheiden müssen. Wenn Mitarbeiter und Teams selbst entscheiden, verkürzen sich Entscheidungsprozesse und Entscheidungszeiten, die Organisation wird wendiger, agiler.

Wenn aber Mitarbeiter selbst (mehr) entscheiden sollen, muss der organisationale Rahmen entsprechend angepasst werden. Die Range dafür ist extrem groß und reicht von Scrum bis Holokratie. In aller Regel wird das passende Konzept „nach Maß gefertigt“. Wie auch immer der Rahmen für die angestrebte Selbstorganisation im Einzelfall letztlich konkret aussieht, es gilt immer:   

Selbstorganisation will gut organisiert sein!

Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte müssen die neue Art der Zusammenarbeit lernen. Dabei ist Agilität nur ein Aspekt, der Führung verändert.

Führung neu definiert

Führung muss immer mehr zu Training, Coaching, Moderation oder kurz „Facilitative Leadership“ werden, zu Führung also, die auf trainieren und unterstützen fokussiert. Den Kern könnte man in Umkehrung von Wladimir Iljitsch Lenin’s Überzeugung „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser!“ betiteln, mit: 

Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser!

Die Denkrichtung kehrt sich um: Nicht der Mitarbeitende arbeitet der Führungskraft zu, der die Aufgaben erledigt und dafür Unterstützung durch seine Mitarbeitenden erhält, sondern die Führungskraft wird zum Facilitator, zum Ermöglicher, zum Förderer und arbeitet dem Mitarbeiter zu, damit dieser optimale Bedingungen hat, um die Aufgaben zu erledigen. Im Zeitalter der Wissensarbeit (Peter F. Drucker) kann die Führungskraft fachlich nicht mehr besser sein, als die ihr zugeordneten Kolleg*innen. Die Leitung steht nicht (mehr) auf der Bühne im Rampenlicht, sondern ist Backstage unterstützend tätig.

Der beste Führer ist der, dessen Existenz gar nicht bemerkt wird, der zweitbeste der, welcher geehrt und gepriesen wird, der nächstbeste der, den man fürchtet und der schlechteste der, den man hasst. Wenn die Arbeit des besten Führers getan ist, sagen die Leute: »Das haben wir selbst getan«
Laotse, 6. Jh. v. Chr.

Dieses post-tayloristische Führungsverständnis, ist Teil eines – durch eine Vielzahl von Herausforderungen (Umweltproblematik, Globalisierung, Fachkräftemangel, Digitalisierung …) getriebenen – umfassenden Kulturwandels, der ein Miteinander auf Augenhöhe fordert.

Facilitating Leadership

Kulturwandel bedeutet auch und vor allem Umgestaltung des Miteinanders nach innen und nach außen. Die Kommunikation mit den Kunden muss intensiver werden, weg von der Präsentation hin zum Dialog. Die Kommunikation mit den Mitarbeitenden muss einem neuen Mindset gerecht werden, das auf ein Mehr an Mitbestimmung und individueller Freiheit abzielt. Führungspersonen sind nicht mehr länger die, die alles besser wissen (können). Sie müssen zu Dienern, Unterstützern, Förderern, Moderatoren und Facilitators werden.

Die Anforderungen an die Führung von morgen könnte man in folgenden fünf Dimensionen zusammenfassen:  

  1. Mindset
    Führung beginnt im Kopf. Nur wer im Stande ist, seinen Teammitgliedern auf Augenhöhe zu begegnen, kann künftig Führungskraft sein. Bleibt die Frage, ob der Begriff Führungskraft noch zeitgemäß ist oder ein Begriff, wie Coach, Moderator oder Facilitator mehr Potential hat, ein Mindset zu erzeugen, das der Aufgabe der „neuen Führungskraft“ gerecht wird.
      
  2. Delegation
    Wenn Organisationen agiler werden sollen, heißt das Zauberwort Delegation oder Selbstorganisation. Das bedeutet, dass Teams innerhalb der ihnen zugedachten Aufgaben, sich eigenverantwortlich um die konkrete Arbeitseinsatzplanung, die Vertretungs- und Urlaubsregelung, die Einarbeitungs- und Weiterbildungsplanung, die Verwendung der zur Verfügung gestellten Budgets etc. kümmern. Auch die Informationswege zu internen und externen Kunden sind zu überdenken …

  3. Monitoring
    Eine Aufgabe, die als Führungsaufgabe – oder Lotsendienst – bleibt, ist die des Monitorings. Führung bedeutet, das „Große Ganze“ im Blick zu behalten, strategische Entscheidungen frühzeitig zu kommunizieren und zu navigieren, ohne das konkrete Doing zu übernehmen. Da kann es möglicherweise auch mal ein „Wenn möglich bitte wenden!“ geben, aber das direkte Steuern bleibt beim, sich selbst steuernden, Team.

  4. Orientierung
    Unternehmen brauchen eine glaubwürdige und transparente Vision als Bezugspunkt für ihr Handeln. Eine gut formulierte Vision gibt den Mitarbeitern Orientierung und erzeugt einen Sog in die intendierte Richtung. Voraussetzung ist, dass diese Vision von allen geteilt wird. Führungsarbeit bedeutet künftig mehr denn je, Sinnstiftung. Der Purpose der Organisation muss glaubwürdig sein, kommuniziert und diskutiert werden. Die Meinung aller muss gehört und berücksichtigt werden. Mitarbeiter*innen mit Leitungsfunktion müssen diese Mittler- und Moderationsfunktion pro-aktiv wahrnehmen.

  5. New Work
    Interpretiert man New Work im Sinne des Philosophen Frithjof Bergmann, so könnte man sagen, dass New Work auf den selbstbestimmten, glücklichen Menschen abzielt. Sieht sich eine Organisation diesem „Ansatz“ verpflichtet, könnten Führungskräfte, Berater und Coaches sein, die ihren Mitarbeitenden helfen ihrem Ikigai (frei übersetzt: „das, wofür es sich zu leben lohnt“) so nahe als möglich zu kommen. Eine Aufgabe von Führung wäre es dann, sich intensiv mit „Personalentwicklung“ oder besser Persönlichkeitsentwicklung, zu befassen.

Diese Art der Mitarbeiterführung oder besser Mitarbeiter-Unterstützung, die mehr mit Supporting als mit Führung im herkömmlichen Sinne zu tun hat, könnte man als moderativen Führungsstil oder Facilitative Leadership bezeichnen.



Erstveröffentlichung 04.2020: zukunftderarbeit.de

© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIODieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist moderatio-logo.jpg