Diese Ratte…
von Josef W. Seifert –
Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Text das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
Fühlt sich jemand ungerecht behandelt, alleingelassen, betrogen, „verraten und verkauft“, kann es schon mal vorkommen, dass das Gegenüber als Ratte bezeichnet wird. Ganz abgesehen davon, dass man damit sicherlich einer Ratte nicht gerecht wird, wird man es dem Gegenüber ganz bestimmt auch nicht. Aber, wie dem auch sei, wird in einer Moderation deutlich, dass eine Beziehung in diesem „Zustand“ ist und Teilnehmer nicht, nicht mehr oder derzeit so gar nicht „miteinander können“, stellt sich unweigerlich die Frage, ob eine sachliche Arbeit sinnvoll oder überhaupt möglich ist. Denn, folgt man Paul Watzlawick’s zweitem Axiom, ist es so, dass jede Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt hat, wobei Letzterer den Ersten bestimmt. Ganz pragmatisch könnte man auch sagen: Stimmt die Beziehung, ist in der Sache (fast) alles möglich, stimmt die Beziehung nicht, ist in der Sache (fast) nichts möglich.
Ausgehend vom Gesagten, ist in der Moderation – im Fall offensichtlicher Beziehungsstörungen – ein Überhören, Übersehen, Übergehen keine Option. Die Folge wären Scheindiskussionen um den sprichwörtlichen Bart des Kaisers und letztlich, nicht tragfähige Beschlüsse.
Stimmt die Beziehung, ist in der Sache (fast) alles möglich, stimmt die Beziehung nicht, ist in der Sache (fast) nichts möglich.
Das Klärungsgespräch
Was also tun? Da ist – um es mit Uli Stein zu sagen: Guter Ratt immer teuer. Aber, Scherz beiseite: Niemand der einigermaßen bei Verstand ist, baut sein Haus auf Sand. Anders ausgedrückt: Ohne tragfähige Beziehungen ist in der Sache nichts besprechbar, nichts verhandelbar, nichts erreichbar. Der Ausweg: Das Klärungsgespräch.
Man kann in dieser Situation nur den Stier bei den Hörnern packen oder, um im Bild zu bleiben, die Ratte am Schwanz, und ein klärendes Gespräch mit den Verantwortlichen führen. Sinn und Zweck ist die Klärung des Umgangs mit der gegebenen Situation. Am Ende muss klar sein, wie mit der Situation umgegangen werden soll.
Der Moderator schlägt eine Pause vor und bittet den/die für das Team und/oder die Veranstaltung Verantwortlichen um ein Gespräch. Dieses hat folgenden Aufbau:
- Beobachtung: Was habe ich beobachtet?
- Folge: Wozu wird das (vermutlich) führen?
- Konsequenz: Was machen wir?
Beobachtung: Man schildert, die beobachteten Symptome, wie etwa ungewöhnlich heftige oder gar aggressiv wirkende Beiträge, verbale Angriffe, Beleidigungen, Aussagen „unter der Gürtellinie“… keine Vermutungen, lediglich Beobachtungen.
Folge: Im zweiten Schritt geht es darum zu verdeutlichen, wozu das vermutlich führen wird: Wir werden keine konstruktive Arbeitsatmosphäre erreichen können, wir werden vermutlich Scheindiskussionen haben. Das Ende vom Lied werden unbrauchbare Ergebnisse und wenig tragfähige Vereinbarungen sein.
Konsequenz: Schlussendlich bleibt die Frage: Was möchten Sie tun? Denkbar wäre es, das Gesprächsklima – mit einer geeigneten Meta-Kommunikations-Methode – zum Thema zu machen und Kommunikationsregeln zu vereinbaren. Denkbar wäre auch ein Break, also ein „diplomatisches Ende“ der Veranstaltung. Eher wenig erfolgversprechend wäre der spontane Versuch der Konfliktlärung mittels Konfliktmoderation. Wer Letzteres versucht folgt der Regel: Nimm zwei Schritt auf einmal und fall auf’s Maul.
Stufenweise intervenieren
Überhören, Übersehen, Übergehen sind in schwierigen Moderationssituationen, wie bereits gesagt, keine Option. Wenn alle Stricke reißen, wird ein Klärungsgespräch helfen. Dieses Pausengespräch ist aber der ultimative Schritt, um eine schwierig(st)e Moderationssituation aufzulösen, nicht der Erste. Die Intervention geschieht stufenweise, in folgenden 4 Schritten. Den ersten Schritt macht der Moderator eigenverantwortlich, das gehört zum Moderationshandwerk. Die Schritte 2 bis 4 bedürfen der Unterstützung durch den Auftraggeber.
- Das Gespräch straff moderieren
- Break und Klärungsgespräch
- Expliziter Veranstaltungspart mit Meta-Kommunikation
- Abbruch, Runde beenden oder verkürzen
Sporty Facilitating
Wenn die Beziehungsebene angespannt ist, kann es helfen, straff zu arbeiten. Je weniger „Luft“ für Nebenkriegsschauplätze ist, desto zielgerichteter kann der Moderationsprozess ablaufen, die Aufmerksamkeit wird auf die Sache fokussiert. Um ein Gespräch straff zu leiten, können folgende Techniken hilfreich sein:
- Klare Ziele definieren und das für jeden Tagesordnungspunkt, für jedes Thema.
- Durch Aktives Zuhören das Gespräch fokussiert halten.
- Sachlich bleiben, und emotionale Beiträge auf die sachliche Ebene „übersetzen“.
- Paraphrasieren und zusammenfassen, um den Gesprächsverlauf zu strukturieren und auf die jeweiligen Kernpunkte zu konzentrieren.
- Die Teilnehmer immer wieder auf die Fragestellungen fokussieren und Abweichler „einfangen“.
- Stille Teilnehmer einbeziehen und dominante Teilnehmer bremsen.
- Konsequent Visualisierung nutzen, und (Zwischen-)Ergebnisse festhalten.
- Öfter kurze Pausen einlegen und dem erhöhten Gesprächsbedürfnis Rechnung tragen.
- Beiträge gezielt auf ihren Bezug zum jeweiligen Thema hinterfragen.
- Lösungsorientiert vorgehen und immer wieder auf das jeweilige Ziel hinweisen.
Diese Techniken helfen dabei, ein Gespräch effizient und zielgerichtet zu managen und „überbordende Beiträge“ zu versachlichen.
Expliziter Veranstaltungspart mit Meta-Kommunikation
Reicht das skizzierte „sporty-facilitating“ nicht aus, um eine sachliche Arbeit sicherzustellen, sollte das Miteinander explizit zum Thema gemacht werden. Nach einer Abstimmung mit dem/den Verantwortlichen ist dafür ein Veranstaltungsteil zur Meta-Kommunikation, also zur „Kommunikation über die Kommunikation“ zweckmäßig.
Abbruch, Runde beenden oder verkürzen
Erscheint seitens der Verantwortlichen eine Besprechung der gegebenen Situation aktuell nicht angebracht oder ist sie nicht erwünscht, bleibt nur die Veranstaltung zu beenden. Die Begründung kann offen sein, indem der Konflikt thematisiert wird. Vielleicht wird auch eine Konfliktmoderation angekündigt, oder die Begründung ist „diplomatisch“, um Zeit für die Planung des weiteren Vorgehens zu gewinnen…
Fazit
Je konstruktiver, ja wohlwollender die Kommunikation in einer moderierten Veranstaltung gestaltet werden kann, desto angenehmer ist das Miteinander und desto mehr darf auf die Tragfähigkeit der Ergebnisse vertraut werden. Selten aber doch gibt es den Fall, dass in der Sekunde kein gedeihliches Miteinander erreicht werden kann, dann gilt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Vielleicht ist dann ja am Ende der Veranstaltung der Moderator die Ratte, allerdings mit anderem Sinngehalt. Folgt man aktuellen Studien, so ist sie Meister der Überlebenskunst und Anpassungsfähigkeit, mit hoher sozialer Intelligenz und Kompetenz.
Gutes Gelingen für das Meistern auch schwierig(st)er Moderationssituationen
wünscht Ihnen/Euch/Dir,
Josef W. Seifert
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