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Klimaneutrale Moderation oder:
Die eigenen Emotionen managen

von Josef W. Seifert –

Moderieren bedeutet leiten, lenken, unterstützen des Arbeitsprozesses und managen des emotionalen Gruppenprozesses. Und, was meist unter den Tisch fällt: Moderieren bedeutet managen der eigenen Gefühlswelt. Je schwieriger die Situation im Prozess, desto schwieriger auch das „Managen des Moderators, der Moderatorin“.

Wird man etwa persönlich angegriffen, ist man in der Sekunde möglicherweise emotional überfordert und die emotionale ‚Selbst-Steuerung‘ versagt. Man re-agiert aus den eigenen Mustern heraus. Man ‚explodiert‘ und wird ironisch, sarkastisch, schroff. Oder man ‚implodiert‘ und versucht zu verbergen, wie es einem gerade geht. In beiden Fällen verliert man irgendwie den Boden unteren Füßen, die eigene Sensibilität sowohl für sich, als auch für andere und deren Emotionen, für das Ganze, die Gruppe, den Prozess‚ die geforderte Souveränität, die Professionalität, sind erst einmal dahin…

Damit es nicht soweit kommt, ist die wichtigste Nebentätigkeit der Moderatorin, des Moderators – respectively facilitators – daher, das Managen der eigenen Emotionen. Diese Herausforderung besteht sowohl in der „normalen“ Moderation, als auch – und dort ganz besonders – in Teamentwicklung und Konfliktmoderation.

Die „Werkzeuge“, die dafür genutzt werden können, könnte man mit „Abstand“ und „Nähe“ bezeichnen. Was hat es damit auf sich?

Abstand

Der Idealfall wäre, dass man als Moderator soviel inneren Abstand zum äußeren Geschehen hat, dass man auch kritische Äußerungen, zwar wahrnimmt, diese aber keine innere Resonaz erzeugen. Egal, was außen passiert, es bringt einen nicht aus der inneren Mitte. Diese Ruhe und Ausgeglichenheit, dieses „in sich ruhen“, ist allerdings nicht leicht zu erreichen und aufrechzuerhalten.

Hat man diese „innere Reife“ – im entscheidenden Moment – nicht, ist es eine gute Möglichkeit, sich bewusst zu machen, dass das – um es mit René Descartes zu sagen – was Peter über (oder zu) Paul sagt, mehr über Peter sagt als über Paul.

Es kann helfen, dieses Zitat im Kopf zu haben oder soagar auf einer Karte vor sich liegen zu haben oder auf einem Flip-Cart an der Wand. Hat man diese Tatsache präsent, weiß man, dass das was man gesagt bekommt, im Kern, mehr eine Selbstmitteilung des Sprechenden ist, als eine Botschaft an einen selbst.

Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul.

Dies schafft einen emotionalen Puffer, einen gewissen Abstand zu dem, was plötzlich und unerwartet auf einen zukommt, gewissermaßen einen „Emotions-Airbag“. Die emotionale Wucht, wird deutlich abgefedert.

Das andere Ende der Skala – idealerweise als Ergänzung – ist es, mit Nähe zu arbeiten, also den gefühlten Angriff auf die innere Mitte, auf die Hörner zu nehmen…

Nähe

Pauschale Aussagen, schroffe Argumentation, verbale Angriffe, die in der Moderation nicht die Regel sind, aber regelmäßig vorkommen, kann man gut mit Kommunikations-Technik begegnen. Die Schritte dazu sind: Nachfragen, Zuhören und Auflösen.

📍 Nachfragen
Durch Nachfragen kann man – und der Aspekt ist nicht zu unterschätzen – schlicht, Zeit gewinnen. Zudem gibt Nachfragen die Möglichkeit, Aussagen zu konkretisieren, Verallgemeinerungen zu relativieren… und nicht zuletzt die Möglichkeit, herauszufinden, welchen Selbstmitteilungsanteil das Gesagte hat.

📍 Zuhören
Zuhören, im Sinne des Aktiven Zuhörens, ist die andere Seite der Medaille. Antworten können weiter präzisiert und in die Tiefe, zum Kern dessen, was gemeint ist, verfolgt werden.

📍 Auflösen
Je klarer herausgearbeitet werden kann, worum es „eigentlich“ geht, desto konstruktiver wird das Gesprächsklima. Ziel der Intervention ist es, konkret verstanden zu haben, worum es im Kern geht und welche konstruktive Aussage es festzuhalten gilt. Je besser dies gelingt, desto stabiler wird das eigene Emotionsmanagement.

Fazit

So wie man in der Moderatorenrolle inhaltlich neutral zu sein hat, also keine eigene Meinung zu den jeweiligen Inhalten zu haben hat, dürfen der Moderator und die Moderatorin auch „keine Gefühle“ haben, weil diese ebenfalls den Arbeitsprozess stören (könnten). Da beides unmöglich ist, bedarf es für Moderation / Facilitation, spezieller Kommunikationstechniken.

Die Emotionen des Moderators dürfen – oder sollen – ebenso, wie dessen Meinung zu den jeweiligen Themen, keinen Einfluss auf das Arbeitsklima und den Arbeitsprozess haben. Der Umgang mit den eigenen Emotionen, ob Freude, Trauer, Unsicherheit, Wut oder Frustration… muss in der Moderatorenrolle, dem Arbeitsprozess geschuldet, „klimaneutral“ sein.

jws

 

PS: Zur leichteren Schreib- und Lesbarkeit, halte ich mich an den Rat für deutsche Rechtschreibung […]

© MODERATIO 2024

Sind Meetings vertane Zeit

Sind Meetings vertane Zeit?

…fragt das Magazin „Spiegel“ am 20.06.2023 und berichtet aus einer Studie in der weltweit mehr als 18.000 Menschen befragt wurden: „Vor allem die Zeit in Meetings und Besprechungen nehmen einige der Befragten nicht als gut genutzte Arbeitszeit wahr. Im Schnitt gaben die Befragten aus Deutschland an, dass sie lediglich etwas mehr als die Hälfte ihrer Meetings (53,4 Prozent) als »gute Nutzung der Arbeitszeit« ansehen. 36,5 Prozent der Meetings wurden als unnötig eingestuft.“ Die häufigsten Gründe für diesen Eindruck dürften einerseits unnötige Meetings und andererseits ineffiziente Meetings sein. Die Antwort auf die Frage, ob Meetings vertane Zeit sind kann also nur lauten: Es kommt drauf an.

 

Nötige Meetings

Die Frage, ob ein Meeting erforderlich ist oder nicht, hat einerseits eine sachlogische Komponente und andererseits eine soziale. Ein Meeting kann aus beiden Aspekten heraus sinnvoll oder wünschenswert sein, hilfreich oder erforderlich aber eben auch das Gegenteil: unnötig und kontraproduktiv.

Im sozialen Kontext kann ein Meeting Kontakt herstellen, Zusammenhalt fördern, Teamgeist festigen, Spannungen lösen, Konflikte klären.

Im sachlogischen Kontext kann ein Meeting über Sachverhalte informieren, Sachfragen klären, Problemstellungen strukturieren, Lösungen (er)finden, Pläne schmieden, Maßnahmen vereinbaren.

Damit ein Meeting nicht zu „vertaner Zeit“ wird, sollte man sich also vorab die Frage stellen, wozu konkret das angedachte Meeting dienen soll: Was konkret soll damit erreicht werden, was nicht auch einfacher, zeit- und Ressourcen schonender erreicht werden kann?

 

Effiziente Meetings

Soll ein Meeting stattfinden, weil es das Mittel der Wahl zur Erreichung einer klar skizzierte Zielsetzung ist, stellt sich die Frage nach dem Konkret Wie? 

Hierzu sind Frage zu klären, wie etwa:

  • Was sind Anlass und Zielsetzung des Meetings?
  • Wer ist für das Meeting unverzichtbar, wer muss dabei sein?
  • Welches Setting ist geeignet oder erforderlich: Besprechung, Workshop, Großgruppe?
  • Ist ein Präsenz-Meeting oder ein Online-Meeting oder die Mischform des Hybrid-Meetings die effizienteste Form die Zielsetzung zu erreichen?
  • Wie sind die konkreten Ziele der einzelnen Steps im Moderationsprozess?
  • Welche Prozess-Fragen müssen vorbereitet werden?
  • Welche Visual Guides werden benötigt?

Möglicherweise müssen auch die Räumlichkeiten vorbereitet und/oder die benötigte Technik vorab getestet werden.

Wohl wissend, dass man das Unplanbare plant, sollte ein Meeting grundsätzlich methodisch sehr sauber vorbereitet werden. Je klarer die Zielsetzung formuliert ist, je verständlicher die Prozessplanung und die Leitung durch eine Moderatorin, einen Facilitator sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Meeting den intendierten Nutzen stiftet.

 

Nachhaltige Meetings

Meetings sind kulturgeprägt und kulturprägend und insofern immer auch nachhaltig. Ein Meeting kann nicht nicht auf die Organisationskultur wirken. Wir können nicht verhindern, dass – über die jeweiligen Inhalte hinaus – die Art und Weise des Miteinanders, das Gesprächsklima, die emotionalen Erfahrungen, eine gewisse Wirkung in die Organisation hinein entfalten. Jedes Meeting bestätigt die ‚geronnene‘ Art und Weise der Gruppenkommunikation oder wirkt in Richtung Kulturveränderung, Kulturentwicklung. Ein Meeting ohne Wirkung gibt es nicht. Wir können nicht wählen, ob es wirkt, wir können nur wählen, wie es wirkt oder wie es wirken soll.

Deshalb ist es für jedes Unternehmen, jede Organisation, jedes Team, jede Führungskraft ganz zentral zu fragen, was ihre Meetings be-fördern. Fördern sie Misstrauen und Missgunst, Rechtfertigungsdruck und Einzelkämpfertum, Einsamkeit und Frust? Oder fördern sie Vertrauen, ermöglichen sie Offenheit und Authentizität? Fördern sie Initiative, Fairness, Wohlwollen, gegenseitige Unterstützung?

Klingt das zu pathetisch? Vorsicht! Jedes Meeting, ob Präsenz, Online oder Hybrid, ob kurz oder lang, ist ein Mosaikstein in einer nachhaltigen Kulturentwicklung!

Wem das zu pathetisch klingt, der möge mir diesen Vergleich erlauben: Was bewirkt einmalig drei Minuten Zähne putzen? Was bewirkt täglich drei Minuten Zähne putzen? Und: Wenn nur eine Familie im Dorf die Zähne putzt ist das für diese Familie lohnenswert, für eine gesundes Dorf ist es aber nicht ausreichend… 

In diesem Sinne: Viel Elan und viel Erfolg für die Gestaltung von Meetings, die nicht als vertane Zeit erlebt werden, sondern als sehr, sehr gut investierte Zeit. Jede Mühe lohnt!

Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert

* * *

© 2024 by MODERATIO

 

Moderation versus Facilitation

Moderation und Facilitation sind zwei Begriffe, die manchmal ergänzend, manchmal konkurrierend und ein anderes mal synonym verwendet werden: Was hat es damit auf  sich? Um es gleich vorweg zu nehmen: Moderation und Facilitation sind Begriffe die, bei Licht betrachtet, für ein und dasselbe stehen. Bleibt die Frage, was die Begriffe konkret bedeuten und für welche Tätigkeit sie genutzt werden.

Der Begriff Facilitation bedeutet im Englischen Erleichterung, Ermöglichung und wird im beruflichen Kontext synonym zum Begriff Moderation, genauer Businessmoderation1, verwendet. Dies wird etwa in neueren Aussagen deutlich wie der, dass Facilitation „eine Denk- und Lebensschule, ein Handwerk und eine Kunst“2 sei, die sich mit Aussagen decken, wie etwa: „Moderation ist ein Handwerk und eine Kunst.“3 sowie den Ausführungen von Albert Ziegler zur Wortbedeutung der Moderation, der diese in die Bereiche „Lebensführung, Gesprächsführung und Unternehmensführung“4 untergliedert.

 

Abb. 1: Moderation und Facilitation – Begriffsverwendung

 

Der Begriff Moderation wird – und dies kann im oben erwähnten Sinne auch für Facilitation gelten – innerhalb des Businessbereiches häufig als Synonym für „Gestaltung“ verwendet. So definiert etwa Wohlgemuth den Begriff Moderator als Synonym für Unternehmens-/Organisationsberater5. Er fasst den Begriff innerhalb des Businessbereiches also sehr weit. Folgt man diesem Gedanken, so kann er – in Anlehnung an Edgar Scheins klassische Unterscheidung zwischen Expertenberatung und Prozessberatung – allgemein für „Prozessgestaltung von Veränderungsprozessen“ stehen6. Der Gestalter, der Moderator oder Facilitator ist hier der mäßigend wirkende, zwischen Standpunkten und Sichtweisen vermittelnde Lenker, jedoch weit mehr, als ein Gesprächsleiter. Man könnte den Moderator oder Facilitator hier auch als „speziellen Unternehmensberater“, „systemischen Organisationsberater“, „Change-Manager“ oder „New Work Facilitator“ bezeichnen.

Was den enger gefassten Aspekt der Gesprächsführung angeht, so finden sich die Begriffe Moderation und Facilitation im Bereich Unterhaltung, wo der Moderator als „Entertainer“ im Wesentlichen die Aufgabe hat, zwischen den inhaltlichen Teilen einer Veranstaltung, „rhetorische Brücken“ zu bauen (Unterhaltungsmoderation), im Bereich Information/Journalismus, wo der Moderator als „Host“ in Veranstaltungen mit Gästen versucht, für ein Publikum relevante Informationen zu generieren (Journalistische Moderation), sowie im Rahmen von Problembearbeitungsprozessen im privatwirtschaftlichen und im öffentlichen Bereich (Businessmoderation). Dort hat er als „Facilitator“ die Aufgabe, den Prozess zu leiten, in dem partizipativ Probleme bearbeitet beziehungsweise gelöst werden sollen.

Der Kern der Tätigkeit des Moderierens – und dies kann aus genannten Gründen auch für Facilitation gelten – lässt sich für alle Bereiche aus der Wortbedeutung des lateinischen „moderatio“ ableiten.7 Demnach steht moderieren einerseits für lenken, leiten und andererseits für mäßigen, „die Mitte finden“. Im Fall moderatorischen Wirkens im Businesskontext ist es dabei Ziel, den Beteiligten die gemeinsame (Veränderungs-) Arbeit zu erleichtern. Hier schießt sich abermals der Kreis zu Facilitation.

 

 

Abb. 2: Moderator und Facilitator: Tätigkeitsbereiche

 

Ob man – aus welchen Gründen auch immer – den Begriff Moderation oder Facilitation verwendet: die Bezeichnung ist nicht das Bezeichnete, die Verpackung nicht der Inhalt. Beide Begriffe bezeichnen eine Tätigkeit, der ein – durch eine spezielle Grundhaltung getragenes – methodisches Kommunikations-Know-how zugrunde liegt, ohne das die Moderatorin, der Moderator oder Facilitator diese Beratungsleistung nicht (glaubwürdig und erfolgreich) erbringen kann.

Haltung: Begreift man Moderieren als die Aufgabe, es den an einer Problembearbeitung beteiligten Menschen zu erleichtern „die Mitte“ zu finden, so ist dies nur aus einer wohlmeinenden und wohlwollenden Haltung heraus möglich. Nur, wer im Stande ist, unterschiedliche Sichtweisen, Meinungen und Positionen, als grundsätzlich legitim zu betrachten und jedem – unabhängig von seiner Sicht der Dinge um die es gerade geht – respektvoll zu begegnen, schafft Akzeptanz für sein Tun und die Basis für gelingende Kommunikations-, und Veränderungsprozesse.

Die eigene Meinung, der eigene Standpunkt, der persönliche Eindruck, treten zugunsten einer offenen „Neugierdehaltung“ in den Hintergrund. Im Zentrum des Interesses stehen die Bedürfnisse der zu Moderierenden, die durch Fragen herausgearbeitet werden. Der Moderator nimmt eine „neutrale Haltung“ ein. Wichtig ist dabei, zwischen Inhalt und Beziehung zu trennen. Während die Haltung den Inhalten gegenüber, von den Beteiligten als „neutral“ erlebt werden sollte, gilt es, den Menschen gegenüber bewusst eine „bedingungslos wertschätzende“ Haltung einzunehmen. Ziel ist es, nicht fachlich zu dominieren, sondern die beteiligten Menschen zu ermutigen und ihnen die inhaltliche Arbeit durch geeignete Kommunikations- und Moderationsmethoden zu erleichtern.

Der ideale Moderator ist „bedingungslos wohlwollend“.


Methoden:
 Moderieren könnte man auch als „Organisieren von Selbstorganisation“ bezeichnen, da der Moderator keine formelle Macht hat. Facilitator geben zu bedenken, laden ein, empfehlen, schlagen vor… sie bestimmen nicht. 

Zur Leitung von Gruppengesprächen in Form von Meetings, Workshops, Großgruppenveranstaltungen oder auch Online-Treffen, werden verbale und visuelle Methoden zur Prozessbegleitung genutzt. Aber auch Regeln, Rituale und Spiele können als gezielte Interventionen eingesetzt werden.

Um im Thema zu bleiben, könnte man spaßeshalber formulieren: „Den Methoden ist es egal, ob sie von einer Moderatorin, einem Moderator oder einem Facilitator angeleitet werden.“ entscheidend ist allein, dass diese konstruktiv, hilfreich und zielführend sind. Und, wenn etwas Spaß dabei ist, schadet das auch nicht unbedingt… 

 

 

Fazit: Facilitation steht allgemein für Erleichtern – Im Businesskontext steht es, wie (Business-)Moderation, für Begleitung von Veränderung im Rahmen von Organisationsentwicklung, Changemanagement und New Work.

Die Begleitung von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen kann dabei Prozessbegleitung für ein ganzes OE-Projekt, aber auch punktuelle Unterstützung für die Gestaltung von Workshops und Großgruppen-Veranstaltungen durch Beratung, Coaching und Moderation sein.

Ziel dieser Unterstützung auf Zeit ist die Entwicklung eines tragfähigen Designs für die zu bewältigende Aufgabe. Mindset und Haltung zielen darauf ab, durch situations- und organisationsadäquate Partizipation und Selbstorganisation, die Menschen in der Organisation ‚mitzunehmen‘ und eine gemeinschaftliche Verantwortung für das Gelingen des Vorhabens zu etablieren.

Moderation oder Facilitation, Moderatorin oder Facilitator, welchen Begriffen im Einzelfall der Vorzug gegeben wird, hat weniger mit der Wortbedeutung zu tun, als vielmehr – über den Aspekt der „Geschmacksache“ hinaus – mit Überlegungen zur Anschlussfähigkeit an die jeweilige Organisationskultur. Es macht durchaus Sinn, die Begriffe zu wählen, die die Akzeptanz für die zu erbringende Beratungsleistung fördern.

Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert

* * *

Mehr zum Thema:

Quellen:

1 Josef W. Seifert, Visualisieren – Präsentieren – Moderieren, Gabal Verlag, Offenbach
2 Vesper/Scholz, Facilitation, Verlag Vahlen, München
3 Karin Kleber, ModerationsMethode, Windmühe Verlag, Hamburg
4 Albert Ziegler in Wohlgemuth, Moderation in Organisationen
5 André C. Wohlgemuth, Moderation in Organisationen, Verlag Paul Haupt, Bern, Stuttgart, Wien
6 Josef W. Seifert, Moderation & Beratung, MODERATIO-Notiz #7, Pörnbach
7 Josef M. Stowasser, Der kleine Stowasser, Latainsich-Deutsches Schulwörterbuch, G. Freytag Verlag, München


© 2023 Josef W. Seifert

MODERATIO AKADEMIE – Facilitator Training – Facilitator Ausbildung – Training Business Facilitation – Ausbildung Business Facilitator – Präsenz – Online– Hybrid

Die Sache mit dem Selbstwert

Es scheint ein Bedürfnis zu geben, das Abraham Maslow in seiner Bedürfnispyramide zu erwähnen vergessen hat, ein Bedürfnis nach „Ich-lass-die-anderen-alt-aussehen“. Und: Dieses Bestreben hat nach oben keine Grenze. Je weiter die anderen zurückbleiben, desto besser, je größer der Abstand, desto überlegener fühlt sich der, der „oben“ ist. Das gilt freilich für den einen mehr und für die anderen weniger doch jeder kennt dieses Gefühl. Der kleine Bruder dieses Bedürfnisses, dem wir in jeder Moderation begegnen, ist das „recht haben müssen“. Bleibt die Frage, wozu das gut sein soll: Wieso eigentlich geben wir uns so viel Mühe andere zu beeindrucken? Wieso wollen wir recht haben? Woher kommt das? Eine individualpsychologische Erklärung:

Der Mensch kommt als absolut unschuldiges, lebensbejahendes, völlig schutzloses, auf Überleben programmiertes Wesen auf die Welt. Er braucht von Anfang an Nahrung und Pflege, Wärme und Zuwendung kurz: „die Andern“. Im Laufe des Heranwachsens erlebt der kleine Mensch, dass diese andern, in der Regel die Eltern, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, scheinbar „alles können“, „alles wissen“ und „alles dürfen“. Er erlebt sich selbst zwangsläufig als klein und abhängig, wenig/er potent und wenig/er wert. Dieses Erleben des eigenen Unvermögens, der eigenen „Minderwertigkeit“ und der Abhängigkeit vom Wohlwollen der andern gräbt sich so tief in sein Gedächtnis und in seine Seele, dass es nie mehr völlig verblassen wird.

Ganz im Gegenteil, der Mensch wird lebenslang „erzogen“. Zeigen ihm zunächst die Eltern was er noch nicht (gut genug) kann und in welcher Hinsicht er noch nicht genügt, verstärken dieses Gefühl der Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit die Erzieher und Lehrer, die Vorgesetzten und Chefs… Die Werbung tut ihr übriges, indem sie den Menschen erklärt, was sie alles machen und haben müssen, um „richtig“ zu sein… die Medien präsentieren im Dauerfeuer Vorbilder, die vermeintlich alles richtig machen und zum Maßstab werden, für das was man können und haben sollte, um liebenswert zu sein: Schneller, höher, weiter… und der einzelne bleibt zwangsläufig immer hinter den hochstilisierten Ansprüchen zurück…

Wieso aber werden wir lebenslang auf vermeintliche Defizite, auf Schwächen und Fehler hingewiesen und dadurch geschwächt? Wieso werden nicht unsere Stärken anerkannt und dick gelobt? Wieso stärken wir einander nicht, anstatt uns zu schwächen? Es möchte doch jeder gesehen, anerkannt, gelobt werden.

Das Problem an der Sache ist, dass das Ganze ein Vicious Circle, ein Teufelskreis ist: Nur wer hat, kann geben. Da wir, wie oben skizziert, von Kindesbeinen an, – der eine mehr, die andere weniger – mit Anerkennung chronisch unterversorgt sind, sind wir mit unserem Selbstwertkonto im Minus. Dadurch entsteht letztendlich das Dilemma dass alle, die auf Defizite hinweisen, davon profitieren. Kritik stellt einen Unterschied her, der eine hat recht, die andere nicht. Sich im Recht zu wähnen, erzeugt ein Gefühl von Überlegenheit, jede Kritik, ist sozusagen „Futter“ für das eigene Selbstwertgefühl. Je weniger Bestätigung jemand außen bekommt, desto entschiedener wird dessen Kritik an anderen.

In einem Gespräch, einer Auseinandersetzung, einer Diskussion Recht zu bekommen hat daher einen hohen Belohnungswert. Das gilt natürlich auch im Rahmen eines Meetings, eines Workshops oder einer Online-Diskussion.

Als Moderatorin, Facilitator oder Leiter eines Gruppendialogs ist man deshalb gut beraten, neben der inhaltlichen Sachebene, auch die emotionale Beziehungsebene dahingehend „auf dem Radar“ zu haben, dass man sich fragt, ob jemand der (sehr) emotional und/oder kompromisslos argumentiert, gerade einen „Selbstwert-Sieg“ braucht. Es geht also darum zu erkennen, ob jemand gerade Recht bekommen „muss“, weil das Selbstwertkonto sonst zu sehr ins Minus rutscht.

Hat der Moderator diesen Eindruck, kann er etwa das Selbstwertkonto dadurch bedienen, dass er die Argumentation, den geäußerten Gedankengang, das Einbringen der Perspektive und/oder das große Engagement, explizit anerkennt – und so auf das „Selbstwertkonto“ einzahlt – ohne in der Sache Stellung zu beziehen.

Gemäß dem Motto „Nur wer hat, kann geben.“, vergrößert man so, durch moderatorisches Geschick, die Chance, eine größere Offenheit in der Sache zu erreichen.

Recht haben zu wollen sollte also nicht als Dummheit, Sturheit oder Böswilligkeit gewertet werden, sondern als das was es ist nämlich, ein Versuch auf das chronisch unterversorgte „Selbstwertkonto“ einzuzahlen.

Was Peter über Paul sagt,
hat oft mehr mit Peter zu tun,
als mit Paul.

Die Grundhaltung des Moderators ist – nicht zuletzt, weil er um diese „Mechanik“ weiß – von Respekt und Wohlwollen geprägt. Die Idee ist dabei die, „ganz nebenbei“ eine Gesprächskultur der gegenseitigen Wertschätzung zu etablieren, wie sie in der Geschichte von Himmel und Hölle meisterhaft versinnbildlicht ist:

Himmel und Hölle [Quelle unbekannt]

Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ – „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.

Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf Aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen.Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.

Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“ fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.

Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.

Aber – ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.

Da weiß der Rabbi, wo er ist.

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

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Der Konflikt ist rund.

Kausalität ist im sozialen Konflikt stets zirkulär. Im Streit, gleicht die Frage nach der Schuld dem Versuch, in einem Kreis den Anfang oder das Ende zu finden, aber das gibt es nicht. Wer glaubt den Anfang zu kennen, hat diesen nicht ge-funden, sondern er-funden. In streitigen Fragen bleibt immer die Frage, was zuerst war, die Henne oder das Ei, die nicht entscheidbar ist. Macht man im Konflikt einen Schuldigen aus, so ist das eine subjektive Setzung, eine Schuld-Zuweisung, ein Alibi. Der Versuch, mit Begriffen, wie „gut“ und „böse“, „richtig“ und „falsch“, „Schuld“ und „Unschuld“… zu arbeiten, ist weder klug noch zielführend.

Rolle gut und böse, richtig und falsch zu einer einzigen Kugel, wickle sie in Papier, und wirf sie weg. [nach Bankei Eitaku] 


Der einzige Weg,

der aus einem Konflikt führen kann ist der, zunächst anzuerkennen, was ist. Die schwierigste Übung dürfte dabei der Verzicht auf Wertung sein, der Verzicht darauf im Besitz der einzig legitimen Sichtweise zu sein. Anzuerkennen was ist, bedeutet auch anzuerkennen, dass die andere Seite eine Sicht auf die Dinge hat, die ganz offensichtlich – aus welchen Gründen auch immer – ebenfalls möglich ist. Es bestehen unterschiedliche Wahrnehmungen, Vermutungen, Bewertungen, Wünsche, Ziele… Erst wenn es gelingt, dies als legitim und gleich-wertig anzunehmen ohne sich innerlich dagegen aufzulehnen, kann ein zweiter Schritt gelingen.

Die Kunst besteht darin, etwas als gegeben zu akzeptieren, auch wenn man es möglicherweise gar nicht gut heißt, ohne dagegen zu opponieren. 

Ich freue mich, wenn es regnet, weil wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. [Karl Valentin]

Ist ein Anerkennen erreicht, ist es ein Katzensprung zum Modus Vivendi, einem „erträglichen Zusammenleben“, dessen Ausformulierung man als Minimalziel einer Konfliktklärung betrachten könnte. Jetzt kann gefragt werden: Was machen wir denn nun, wenn es nun mal so ist, wie es ist? Welche Optionen haben wir? Was ist denk-bar? Was ist mach-bar?  Was wollen wir jetzt, konkret wie versuchen? Wie organisieren wir unser zukünftiges Mit-einander?

Oder, um es mit Willy Brandt zu sagen, das Ziel ist es, „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen.“

Gut gebrüllt Löwe,

sagt Shakespeare im Sommernachtstraum und meint, leichter gesagt als getan oder: Wie soll das gehen? Wie sollen Konfliktparteien dahin kommen, das anzuerkennen was ist, obwohl sie exakt das gar nicht haben wollen? 

Im Businesskontext, konkreter im Kontext von Führung, Team-Performance und New Work, kann der Teamleiter als Moderator oder Facilitator helfen, diese „Konfliktlösungsbasis“ dadurch zu erreichen, dass er einen sehr verbreiteten Denkfehler klärt:

Der Denkfehler besteht darin, dass Menschen meist davon ausgehen dass, etwas als gegeben anzuerkennen, gleichbedeutend ist mit Zustimmung: Wenn es regnet, kann ich diese Tatsache zwar leugnen und so tun, als ob es nicht so wäre, regnen wird es trotzdem. Wenn ich anerkenne, dass es regnet, heißt das nicht, dass ich ich das auch gut finde und, um nochmal Karl Valentin zu bemühen, mich auch freue. Im Businesskontext: Wenn jemand einen anderen kritisiert weil dieser, seiner Meinung nach, Vereinbarungen nicht einhält, kann der Kritisierte anerkennen, dass der andere das so sieht, ohne ihm zuzustimmen. Wahrnehmung und Bewertung sind zwei, zeitlich auf einander folgende, Dinge. Anerkennen könnte also etwa so lauten: „Ich weiß, dass Du das so siehst, Deiner Meinung nach halte ich Vereinbarungen nicht ein. Ich sehe, dass Du das so siehst, das ist Dein gutes Recht.“ Im Idealfall vielleicht sogar mit dem Zusatz: „Ich kann verstehen, dass Du das so siehst.“

Anzuerkennen was ist, ist keine „gute Tat“, kein Eingeständnis einer Schwäche, kein Nachgeben, sondern schlicht die Anerkennung der Tatsache, dass man nicht im Besitz der Wahrheit ist.  

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. [Heinz von Förster]


Der Konflikt ist rund.

Ein Konflikt ist ein Teufelskreis: Handlungen – aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Interpretationen geboren – ergänzen sich so, dass die Situation immer schlimmer wird. Beide Seiten sind davon überzeugt, recht zu haben. Beide Seiten re-agieren auf den jeweils anderen, die Negativspirale dreht sich…

Für professionelle Konfliktmoderation muss man daher in der Lage sein, eine „allparteiliche“ Haltung einzunehmen und, um es in einem Bild zu sagen: schwarz und weiß gleich-wertig zu behandeln. Damit dies gelingen kann, bedarf es der festen Überzeugung, dass es ‚gut‘ und ‚böse‘, ‚richtig‘ und ‚falsch‘ , ‚faktisch‘ und ‚objektiv‘, gar nicht gibt. Jede Sichtweise ist eine mögliche Sichtweise, jede Meinung ist eine gültige Meinung, jeder Beitrag ist ernst zu nehmen. Nur aus diesem Verständnis heraus, kann eine bedingungslos wohlwollende Haltung entstehen, die es den Menschen ermöglicht, sich zu öffnen und sich aufrichtig einzubringen.

„Alles kann einem Menschen genommen werden, nur eines nicht: die Wahl der eigenen Haltung in der gegebenen Situation und die Wahl der Handlung.“ [Viktor Frankl]

 

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

© 2024, Josef W. Seifert, MODERATIO

Wie halten Sie es mit der Haltung?

In Anlehnung an Paul Watzlawick und dessen Axiom: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“, könnte man postulieren: „Man kann nicht keine Haltung einnehmen!“ Soweit, so einleuchtend. Nur, wozu ist das wichtig?

Ohne Haltung geht es nicht

Wenn wir BusinessModeration und systemische Organisationsberatung, als „Prozessgestaltung mittels Kommunikation“ definieren, und nichts anderes ist es, dann bedeutet dies, dass die Haltung des Moderators* ein zentrales Element von Prozessberatung ist. Daneben oder „darüber“ liegt das, durch die zugrundeliegende Haltung determinierte, beobachtbare Verhalten, das auf das jeweilige Gegenüber wirkt. Unsere Haltung ist also zentraler Erfolgsfaktor in Moderation und Beratung. 

Unsere Haltung prägt unsere Wahrnehmungsfilter, unsere individuelle Art und Weise, wahrzunehmen, einzuordnen und zu bewerten. Wir konstruieren uns auf dieser Basis unsere Wirklichkeit, die auf unsere Haltung zurückwirkt. Insofern kann man sagen, Haltung ist zirkulär und nicht zuletzt deshalb, sehr stabil.

Stabil ist dabei vor allem unsere Grundhaltung, unsere Grundgestimmtheit dem Leben gegenüber, geprägt aus einer Vielzahl von Erfahrungen, die das (ungeborene) Kind gemacht hat, bis zum Hier und Jetzt. Man könnte auch sagen: Haltung ist geronnene Erfahrung. Wir (glauben immer mehr zu) wissen wie „es ist“, unser Haltung gibt uns Halt. Sie verfestigt sich zum Charakter. 

Haltung ist geronnene Erfahrung

Haltung braucht dabei immer einen Gegenpool, Haltung ohne Gegenüber ist, wie Klatschen mit einer Hand. Haltung ist dual. Wir nehmen eine bestimmte Haltung gegenüber dem Leben an sich ein, einem konkreten Sachverhalt, einer aktuellen Situation oder einer Person. Tritt eine neue „Sache“ auf, nehmen wir innerlich dazu Stellung, entwickeln diesem Phänomen gegenüber eine Einstellung, eine innere Haltung. Aus dieser emotionalen und rationalen „Heimat“ heraus, können wir dann unseren Standpunkt formulieren und uns mit anderen auseinandersetzen.

Um kommunizieren zu können, brauchen wir eine Haltung zu dem jeweiligen Inhalt, um den es geht. In aller Regel haben wir diese. Im Bereich der BusinessModeration und der systemischen Prozessberatung ist die Ausnahme zu dieser Regel allerdings die Regel. Ganz im Gegensatz zum Bereich der Fachberatung, wo eine Expertise zum jeweiligen Thema vorhanden sein muss, ist dies im Falle der Prozessberatung  eher erschwerend. Wieso ist das so?

Experten- und Prozessberatung

Bei Expertenberatung handelt es sich um die Art von Beratung, bei der die Betroffenen ihr Problem an einen Berater (oder eine Beratergruppe) mit dem Auftrag übertragen, das Problem zu lösen oder zumindest ganz konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Das klassische Beispiel dafür ist die Expertise, das Gutachten eines Experten, etwa zur Echtheit eines Kunstwerkes. Auch die Beratung zur Anschaffung einer technischen Anlage und die Finanz- und Steuerberatung gehören hierzu. Die beteiligten Personen stehen sich in einer komplementären Haltung gegenüber. 

Bei Prozessberatung hingegen geht es darum, dem Gegenüber zu helfen, sein Problem selbst zu lösen. Das Problem wechselt in diesem Fall den Besitzer nicht. Vielmehr geht es darum, den Prozess der Problemlösung zu gestalten. Gefragt ist nicht Fachkompetenz, sondern (vor allem) Methodenkompetenz. Die beteiligten Personen stehen sich in einer symmetrische Haltung gegenüber. 

Die Haltung in der Moderation

Da BusinessModeration (wie systemische Organisationsberatung allgemein) Hilfe zur Selbsthilfe ist, müssen BusinessModeratoren, eine inhaltlich neutrale Haltung einnehmen. Andernfalls werden sie zum Fachberater. Da man, wie eingangs erwähnt, aber nicht keine Haltung einnehmen (beziehungsweise entwickeln) kann, ist das Einnehmen dieser neutralen Haltung ein bewusstes Tun, das ein inhaltliches „Haltungsvakuum“ erzeugt. In der Praxis führt dies (bei moderationsunerfahrenen Teilnehmern) zu Verunsicherung, was sich in der Frage: „Sie haben da bestimmt mehr Erfahrung als wir, wie sehen Sie das denn?“ zeigt. Die Kunst liegt dann darin, das Vakuum durch eine spezielle Haltung, man könnte sie „fragende Haltung“ nennen, zu kompensieren. Die eigene Meinung, der eigene Standpunkt, der persönliche Eindruck, treten zugunsten einer offenen, „Neugierdehaltung“ in den Hintergrund. Im Zentrum des Interesses stehen die Haltungen der zu Moderierenden, die durch Fragen herausgearbeitet werden. Der Moderator nimmt eine „neutrale Haltung“ ein.

Je klarer die Haltung des Moderators ist, desto leichter ist die Orientierung für die Gruppe.

Wichtig ist dabei, zwischen Inhalt und Beziehung zu trennen. Während die Haltung den Inhalten gegenüber, von den Beteiligten als „neutral“ erlebt werden sollte, gilt es, den Menschen gegenüber bewusst eine „bedingungslos wertschätzende“ Haltung einzunehmen. Ziel ist es, nicht fachlich zu dominieren, sondern die beteiligten Menschen zu ermutigen und ihnen die inhaltliche Arbeit durch geeignete Kommunikations- und Moderationsmethoden zu erleichtern. Je klarer dabei die Haltung des Moderators ist, desto leichter ist die Orientierung für die Gruppe.

Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert

© 2020 MODERATIO


* wenn hier von „Moderator“ oder „Berater“ die Rede ist, ist dies ausschließlich der leichteren Lesbarkeit geschuldet.

Corona Talk

Corona bewegt uns, den einen mehr, die andere weniger, niemanden gar nicht. Corona macht uns unsicher, kostet oft mehr Kraft als wir haben, saugt uns die Farbe aus dem Leben und die Liebe aus den Herzen, Corona erstickt unsere Kreativität und zerfetzt Beziehungen. Es soll nicht pathetisch klingen, aber Corona stellt neben unserem Intellekt und unserer Frustrationstoleranz vor allem, und ohne Gnade, unsere Liebesfähigkeit auf den Prüfstand. Und das sowohl privat als auch beruflich.

Das klingt im professionellen Kontext erst einmal befremdlich, doch mit Liebesfähigkeit ist hier nicht mehr und nicht weniger, als eine kompromisslos wohlwollende Haltung gemeint. Nur wenn es uns gelingt, eine Grundhaltung einzunehmen, die dieses Ideal zur Basis hat, kann es uns gelingen Gräben zu vermeiden oder gar, bereits entstandene, zuzuschütten.

Angst essen Seele auf

Corona macht Angst, versetzt Menschen in Panik. Nun kann man geteilter Meinung sein, wieviel von dieser Angst von den Medien „gemacht“ wird, wie valide die Daten sind, die die Regierung zu Maßnahmen veranlasst, die die einen für alternativlos halten, während andere die Verhältnismäßigkeit in Frage stellen. Fakt ist, es gibt einmal mehr, kaum gesichertes Wissen und das verunsichert Menschen zutiefst. Wir können evolutionsbedingt, ganz schlecht mit Unwägbarkeiten umgehen. Jeder ist – meist mehr unbewusst, als bewusst – ständig dabei, die Dinge um sich herum einzuordnen, um sich einigermaßen sicher fühlen zu können. Die Strategien der Datensammlung und Bewertung sind dabei individuell sehr unterschiedlich. Das ist im „normalen Leben“ schon schwierig genug, in Krisenzeiten aber extrem kompliziert und belastend.

Um nun auch im Krisenmodus sein Leben leben zu können, legt man sich, bewusst oder unbewusst, eine Strategie zurecht, die einem die Möglichkeit gibt, die bestehende Unsicherheit auszuhalten. Man bastelt sich eine persönliche Alltagstheorie, die die Dinge logisch einordnet und ein Gefühl gibt zu wissen, wie der Hase läuft, was richtig und was falsch ist. Wenn nun jemand gegen diese mühsam errungene, labile Sicherheit argumentiert, wird das als Bedrohung wahrgenommen, als Angriff. Je wackeliger das eigene Theoriegebäude ist, desto geringer ist die Standfestigkeit, die Frustrationstoleranz tendiert gegen Null.

Damit die eigene „Sicherheit“ nicht in Gefahr gerät, wird jede Äußerung eines anderen mit dem eigenen Meinungsseismographen gescanned und wenn die Äußerung des Gegenübers nicht der eigenen Sicht der Dinge entspricht, dann wird dieser „Angriff“ sofort abzuwehren versucht und dies gelingt im Eifer des Gefechts nicht unbedingt „gewaltfrei“. Ein friedliches, konstruktiv-lösungsorientiertes Reden darüber fällt in aller Regel schwer.

Bleibt die Frage: Wie geht man damit im Arbeitsleben um, wie kann ein Team diese Herausforderung meistern? Welche Strategien sind denkbar?

Kultur isst Strategie zum Frühstück

Für den Umgang mit der Krise, sollte ein Team eine Strategie haben um der, in weiten Teilen der Gesellschaft zu beobachtenden, Sprachlosigkeit und Verunsicherung entgegenzuwirken. Wichtig ist dabei, dass die Strategie von der Teamkultur getragen wird. Wenn die gelebte Teamkultur emotionale Nähe, Wertschätzung und Wohlwollen nicht zulässt, Meinungsvielfalt und Spannungen nicht aushält, wird eine Bewältigungsstrategie, die darauf setzt, scheitern. Die Teamstrategie muss daher für das Team – und idealerweise im Team – erfunden werden.

Die erste und vermutlich häufig gewählte Variante ist es, nach dem Motto zu verfahren: „Öffne nicht ein Fass, das du nicht öffnen musst!“. Solange das Team damit gut zurande kommt und sich keine Spannungen und Risse, Spitzen und Konflikte zeigen, die das Miteinander belasten oder gefährden, kann das so funktional sein. Die Strategie wurde dann durch Tun vorgeschlagen und nach der Regel: „Duldung wird als Zustimmung interpretiert!“ vereinbart. In aller Regel wurde dieses Verhalten nicht beschlossen, sondern ergibt sich aus der Verunsicherung „von selbst“.

Im Folgenden zwei mögliche Alternativen:

Strategie 1 „Non Talk“: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Ist Verunsicherung spürbar oder wird diese gar thematisiert, sollte das Thema aktiv angegangen werden.

Wenn die Teammitglieder versuchen, zu erspüren, wie die anderen coronamäßig „ticken“, um Verhaltenssicherheit zu gewinnen und zu wissen, wer sich vielleicht einen Austausch wünscht und wem es gar nicht recht wäre darauf angesprochen zu werden und das Klima von Unsicherheit im Umgang miteinander geprägt ist, dann sollte dies unbedingt angesprochen werden.

Um die Teammitglieder zu entlasten und den Teamspirit zu fördern, wäre es sinnvoll, diese Situation dadurch aufzulösen, dass sie im Team angesprochen wird. Ziel könnte sein, offiziell zu beschließen, Corona im Privaten zu lassen, so dass jede/r die Sicherheit hat, dass keine Stellungnahme erwartet wird und es für alle ok ist, dass man das Thema ausklammert.

Einzig die Anforderungen, die seitens Management und /oder ordnungspolitischer Entscheidungen auf das Team „durchschlagen“ sollten geklärt werden: „Wer klärt mit wem, was konkret von uns verlangt wird und wie die entsprechenden Anforderungen erfüllt werden können und erfüllt werden sollen und wie kommen diese Informationen ins Team?“

Lässt die Teamkultur Austausch zu oder fordert ihn sogar, könnte man einen moderierten „Corona-Talk“ einrichten, der Gelegenheit gibt, sich (regelmäßig) zur Thematik auszutauschen.

Strategie 2 „Corona Talk“: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold.

Soll im Team explizit über Corona, die individuelle Sicht auf die Dinge, das Miteinander im Team, über Erschwernisse, Ängste und Hoffnungen und über den Umgang damit, gesprochen werden, sollten Moderatoren / Facilitator, Regeln vereinbaren und im Dialog auf deren Einhaltung achten.

Wichtig ist dabei die Unterscheidung, zwischen der Beurteilung der Situation mit den aktuellen ordnungspolitischen Maßnahmen, die auf die Arbeitssituation des Teams mehr oder weniger stark einwirken und der persönlichen Situation, in der sich der Einzelne (ganz unabhängig von der individuellen Beurteilung) befindet. Fragen, wie die Einschätzung der Gefährlichkeit der Situation, die Bewertung der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen, Maske, Impfung usw. sind die eine Seite der Medaille, die andere Seite ist die, wie es mir persönlich mit der Situation geht.

Ein Moderationsansatz der sich für diesen „Corona-Talk“ gut eignet ist Dynamic Facilitation. Der Kern der Methode besteht darin, dass der Facilitator, die Moderatorin, vor versammelter Mannschaft, Einzelgespräche mit den Teilnehmenden führt. Er /sie „zwingt“ dadurch die Gruppe dazu, dass jeder jedem solange zuhört, bis diese/r alles gesagt hat, was er /sie zum Thema zu sagen hat. Der Facilitator „interviewt“ dazu jeden Teilnehmer zur eingangs definierten Fragestellung. In diesem Fall müssen die Antworten nicht sichtbar gehalten werden.

Ziel ist es in diesem Falle nicht, Einigkeit darüber zu erzielen, wie dieses oder jenes zu sehen ist, Gleichklang herzustellen oder Maßnahmen zu formulieren. Sinn und Zweck ist Austausch um Unsicherheit zu minimieren, verstärktes Verständnis für einander zu schaffen um letztlich psychische und soziale Entlastung zu erreichen, den Zusammenhalt und die Handlungsfähigkeit zu stärken.

Der Boden aus dem ein fruchtbarer Dialog erwachsen kann, ist die eingangs erwähnte „Liebesfähigkeit“, die Haltung, die Bereitschaft also, zu absichtlich kompromisslosem Wohlwollen. Vielleicht ist ein „Corona Talk“ dann die beste Chance zur Entwicklung einer entsprechenden Grundhaltung: Kulturentwicklung by Corona!?

Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert


© 2021 MODERATIO

Systemische Moderation

So etabliert der Begriff „systemisch“ heute im Bereich Therapie, Coaching und Organisationsberatung allgemein ist, so wenig findet er sich in der Moderation wieder, zumindest nicht explizit. Was aber bedeutet „systemisch“ für Moderation? In diesem Beitrag sind die wesentlichen Aspekte skizziert.

Das Systemische an der systemischen Moderation  

Für eine systemische Betrachtung von Moderation ist es wichtig, sich zunächst bewusst zu machen, dass es ein „soziales System“ real nicht gibt. Es ist kein „Ding“, das man auf einen Tisch stellen könnte oder, wie Heinz von Förster es ausdrückte: „You can never kiss a system“.

Reale Phänomene im Miteinander als „System“ zu definieren und so zu tun „als ob“ es ein System gäbe, ist lediglich ein „Denkzeug“, eine Hilfskonstruktion des Geistes, um mit der unendlichen Komplexität der Realität (besser) zurechtzukommen und (sich) Phänomene erklären zu können, die sich aus den Eigenschaften der Elemente allein, nicht erklären lassen. Dabei geht es nicht um die „harte Realität“ trivialer, mechanischer Systeme wie Maschinen, deren Funktionsweise sich durchschauen lässt, sondern um die „weiche Realität“ der Kommunikations- und Interaktionsphänomene zwischen Menschen. Diese Phänomene kann man nicht verstehen und steuern, wie eine triviale Maschine. Kommunikationsprozesse zu betrachten ist etwas anderes als einen Gegenstand zu betrachten oder um es mit den Worten von Gregory Bateson zu sagen: „Es macht einen Unterschied, ob man gegen einen Stein tritt oder gegen einen Hund.“

Im „Beratungsbereich Businessmoderation“ bedeutet systemisches Denken und Arbeiten, dass man Organisationen und Organisationseinheiten, Arbeitsteams und Projektgruppen, als soziale Systeme betrachtet, also als etwas Ganzes, das aus Elementen besteht, die miteinander in Beziehung stehen.   

Dabei ist es für die Praxis der Moderation / Facilitation wichtig zu wissen, ob der Mensch (in der Tradition von Bateson /Watzlawick) Element des Systems sein soll oder (in der Tradition von Niklas Luhmann) nicht Element des Systems ist, sondern zur Umwelt des Systems gehört. Während man aus soziologischer Sicht mit Luhmann sagen kann: „Der Mensch interessiert mich nicht!“ („Was tun, Herr Luhmann?“, S. 10), macht diese Betrachtungsweise für einen Pädagogen und Moderationspraktiker, aus sozialwissenschaftlicher Sicht, eher weniger Sinn. Interessanter (und aus meiner Sicht hilfreicher für Moderation /Facilitation) sind daher die Ansätze von Jürgen Kriz (Personzentrierte Systemtheorie) und Eckard König (Personale Systemtheorie). Dazu gibt es reichlich Lesestoff, der an dieser Stelle nicht wiedergekäut werden soll. Vielmehr liegt mir eine praxistaugliche Betrachtung von /für Moderation am Herzen, die uns im Moderationsalltag hilft, einen „vernünftigen Job“ zu machen.

Das soziale System

Für eine systemische Betrachtung von Moderation sind als „konstituierende Dimensionen“ die Aspekte zu beleuchten, die soziale Systeme grundsätzlich kennzeichnen. Auch wenn das nicht für jede der systemtheoretischen „Schulen“ gilt, so hat es sich doch in der Praxis bewährt, für Moderation im Kern die Dimensionen Personen und Regeln sowie Raum und Zeit zu nutzen.

 

 

Personen und Regeln

Personen

Betrachten wir Personen im Kontext von Moderation, so können wir drei Arten von Systemen unterscheiden:

Personen (biologische Systeme), mit ihren individuellen Lebenserfahrungen, Wünschen, Hoffnungen und Intensionen, mit ihren Vorlieben und Mustern zur Deutung von Wirklichkeit sind auch psychische Systeme (siehe auch „Konfliktmoderation und die Sache mit der Angst„). Sie sind zentrale Komponenten sozialer Systeme, sie sind die Träger der Kommunikation, die das System prägen. Sie erzeugen subjektive Wirklichkeiten, die über Feedbackschleifen „zirkulär“ auf sie selbst zurück wirken. Sie sind „Erzeuger“ und „Bewohner“ des Systems, Täter und Opfer zugleich.

Je mehr Menschen in eine Veränderung und Moderation einbezogen werden sollen oder müssen, desto komplexer und komplizierter wird die zu bewältigende Aufgabe. Komplexitätsreduktion wird zur zentralen Herausforderung.

Regeln

Das Miteinander in sozialen Systemen wird durch Regeln gestaltet. Regeln, die zwischen den Personen gelten, sind die Koppelungen der Elemente des Systems. Sie bestimmen, mehr als die Eigenschaften der Elemente selbst, wie das System „tickt“. Besteht ein System längere Zeit, entstehen – durch wiederkehrende Abfolgen von regelgeleitetem Verhalten – systemtypische Kommunikationsmuster, „Fingerabdrücke des Systems“. Diese sind zentrale Merkmale der Organisationskultur.

Regeln sind der Klebstoff, der soziale Systeme zusammenhält. Der größte Teil ist nicht bewusst und nur zu einem sehr geringeren Teil (beispielsweiese als Führungsgrundsätze) dokumentiert. Wie bei einem Eisberg, ist der größte Teil unter der Oberfläche. Es kann erforderlich, zumindest aber sinnvoll sein, Regeln zu identifizieren und Dysfunktionalitäten offen zu legen, um diese verändern zu können.

Raum und Zeit

Raum

Für das Arbeiten „mit einem System“ muss das System durch Abgrenzung „erfunden“ werden. Die Grenzziehung geschieht zweckgebunden und zweckdienlich. Ein System gibt es nur, wenn man es definiert, wenn man also einen Unterschied macht, zwischen dem, was als zum System gehörig gesehen wird und dem, was als nicht zum System gehörig betrachtet werden soll. Was ist drinnen und gehört zum System und was ist draußen und gehört zur Umwelt des Systems. Und was von dem, was zur Umwelt gehört, ist bezüglich der Zielsetzung relevant und muss deshalb, für eine Beratung und/oder Moderation, in die Betrachtung einbezogen werden?

Für die Grenzziehung gilt für Moderation /Facilitation grundsätzlich der Grundsatz „So wenig Teilnehmende wie möglich und soviel als nötig!“. Dies kann dennoch bedeuten, dass die einzubeziehenden Personen viele sind und räumlich an den unterschiedlichsten Orten beheimatet sind. 

Zeit

Eine Handlung ist immer nur im Kontext verstehbar. Stellt man eine Handlung in einen anderen Kontext, ergibt sich ein anderer Sinn. Wenn in einem System dessen Historie eine Rolle spielt (und das tut sie praktisch immer), dann ist eine aktuelle Handlung nicht verstehbar, ohne den „historischen Kontext“ zu kennen.

Zudem ist das Erleben eines stabilen Zustandes in einem System, eine komplexitätsreduzierende Illusion. Es ist ein „Systemparadoxon“, dass Stabilität in einer Organisation /einem Team, durch ständiges daran Arbeiten entsteht: Stabilität ist also nicht Stillstand, sondern entsteht durch Aktivität. Wenn „Probleme“ von Dauer sind, wird ständig aktiv etwas dafür getan, dass es sie gibt. Und, es gibt einen guten Grund für ihre Existenz, sie stiften einen – vielleicht auf den ersten Blick nicht ersichtlichen – Nutzen!

Je agiler also wendiger und lebendiger ein soziales System ist, desto schwieriger ist es, die Historie eines aktuellen Zustandes zu erfassen und für eine Prozessberatung und Moderation zu nutzen. Im Sinne lösungsorientieren Arbeitens ist es auch nicht immer erforderlich die Vergangenheit (ganz und gar) zu verstehen …

Das Moderationssystem

Jede Moderation beginnt mit einem „Schritt 0“, der Situations- und Auftragsklärung. Hier müssen vor allem die Aspekte Anlass, Ziel und Abgrenzung des Systems geklärt werden. Im Einzelnen:

Anlass

Worin wird der Anlass gesehen, dass eine Moderation erforderlich ist? Durch welche Entwicklung, welches Ereignis, ist die Idee entstanden, dass da „etwas getan“ werden muss?

 

Ziel

Was konkret soll erreicht werden? Wer möchte das, wer nicht und wer möchte das, was er möchte, um damit konkret was zu erreichen? Dabei ist das Wozu wichtiger, als das Warum. Gab es schon Versuche, das Problem zu lösen, das Ziel zu erreichen? Welche? Wie liefen diese ab, wie gingen sie aus? Usw.

 

System

Zur Abgrenzung des Systems, mit dem gearbeitet werden soll, ist es wichtig zu klären, wer zur Themenbearbeitung erforderlich ist. Es muss ein sinnvolles, zweckdienliches System definiert werden. Was gehört zum System, was nicht? Was ist „drinnen“, was ist „draußen“? Was gehört zur „relevanten Umwelt“, was/wer ist (jetzt) nicht relevant? Zum Systemischen an der Moderation gehört auch, dass man es in der Moderationssituation grundsätzlich mit zwei sich überlappenden Systemen zu tun hat. Einerseits mit dem Arbeits- oder „Heimatsystem“ aus dem die Teilnehmer kommen und andererseits dem „Beratungssystem“, der Moderationssituation mit dem Moderator.

 

 

Situations- und Auftragsklärung: Die Wirklichkeit – was immer das auch sein mag – können wir nicht erfassen. Situations- und Auftragsklärung kann daher nur dem Bilden von Arbeitshypothesen dienen die geeignet erscheinen, das soziale System durch Moderation (im Sinne von Prozessberatung), also durch die Gestaltung von Kommunikation mittels maßgeschneidertem Moderationsdesign, anzuregen sein „Problem“ zu lösen. Moderator*innen können nur als Facilitator helfen, die Problemlösung zu ermöglichen.

Josef W. Seifert


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© 2020 MODERATIO  –  Seifert & Partner Unternehmensberater

Es darf gedacht werden!

Inflation, Skandale, Sorgen, die Welt steht am Abgrund? Man könnte auch sagen: Die Welt steht vor großen Herausforderungen. Wir müssen unser Verhalten auf den Prüfstand stellen, viele Bereiche neu denken. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Art der Führung von Organisationen, die Art der Führung von Menschen. Wir brauchen eine Transformation hin zu mehr Mitwirkung und Mitverantwortung aller. Die Basis dafür ist die glaubwürdige Vermittlung der Botschaft: Sich einzumischen ist erwünscht – es darf (mit)gedacht werden!

Auch, wenn es für die eine oder andere Führungskraft ungewohnt und vielleicht auch unbequem sein mag, wir müssen die Mit-Arbeitenden zu  Mit-Unternehmern machen. Wir müssen mehr Selbstverantwortung wagen, mehr Selbstorganisation zulassen. Neben einem speziellen Mindset, sowohl bei den Mitarbeitenden als auch bei den Führungskräften, bedarf es dafür eines speziellen Instrumentariums, das ein Mitdenken und Mitentscheiden ermöglicht. Für das, was in klein(st)en Organisationen gut möglich ist nämlich, dass alle bei allem mitdenken und mitreden sowie mit entscheiden, muss in mittleren und großen Organisationen ein spezielles Instrumentarium geschaffen werden. Hierfür werden unter dem Label „New Work“, viele Ideen und Ansätze diskutiert.

Ein zentrales Instrument hierfür ist die Delegation. Eine zweite Möglichkeit Führung zu modifizieren beziehungsweise zu ergänzen, sind moderierte Runden, in denen Mitarbeitende zu Mitwirkenden werden, aktuelle Themen diskutieren und Lösungsideen für anstehende Aufgaben entwickeln.

By the way: In diesem Text wird immer wieder nur die männliche Schreibweise verwendet. Dies ist der besseren Lesbarkeit geschuldet. Es sind alle anderen Formen gleichermaßen mitgemeint.

New Work Communities

Definiert man „New Work“ als Bestreben, den Menschen im Arbeitsleben in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet dies, dass Mitarbeitende die Möglichkeit haben müssen sich, mit ihren Sorgen und Nöten, ihren Gedanken und Ideen, ihrer Kreativität und ihren Potentialen, einzubringen. Eine gute Möglichkeit dafür Raum zu schaffen und Raum zu geben, sind moderierte Gruppen. Diese „New Work Communities“ sollten in ein Gesamtkonzept eingebunden sein, das folgenden Elementen und Rahmenbedingungen gerecht wird:

Elemente

  • Die Gruppe / Das Team: Eine New Work Community besteht aus bis zu 10 Personen. Diese treffen sich, während der Arbeitszeit, regelmäßig für bis zu 2 Stunden in einem Meeting- oder Kreativraum. Hier bearbeiten sie arbeitsplatzbezogene Problemstellungen, mit denen sie im Arbeitsalltag konfroniert sind. Die Arbeit der Gruppe wird von zwei Moderatoren geleitet.
  • Moderatorenrunden: Einmal im Monat treffen sich die Moderatoren aus den Communities im Gruppenraum zu einer Moderatorenrunde. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht und Probleme aus der Gruppenarbeitspraxis bearbeitet. Diese Runde wird von den Koordinatoren geleitet.
  • Koordinatoren: Die Gruppenaktivitäten werden von zwei Koordinatoren unterstützt. Diese moderieren die Moderatorenrunden, helfen den Moderatoren bei Schwierigkeiten weiter, organisieren die Trainingsmaßnahmen für Moderatoren und Koordinatoren, die Workshops und die Präsentationen vor den Führungskräften. Sie bereiten gegebenenfalls Situationsberater auf ihre Aufgabe vor und betreiben „Öffentlichkeitsarbeit“.
  • Präsentationen: Zur Einbindung der Führungskräfte in die Gruppenaktivitäten und zur Schaffung eines Mindestmaßes an Transparenz präsentiert die Gruppe Ausschnitte ihrer Arbeit vor den direkten und den übergeordneten Vorgesetzten. Ob, wann und was die Gruppe präsentiert, legt sie eigenverantwortlich fest. Sie kann sich hierzu von den Koordinatoren unterstützen lassen. Eine Gruppe wird in aller Regel zumindest dann präsentieren, wenn sie ein Thema abgeschlossen hat und Ergebnisse vorliegen.
  • Situationsberater: Wenn die Gruppe zu einer Problemlösung Spezialwissen benötig, über das keines der Gruppenmitglieder verfügt, kann die sich die Person als Situationsberater einladen, die die erforderlichen Kenntnisse hat und der Gruppe „Hilfe zu Selbsthilfe“ geben kann.
  • Training: Die Koordinatoren und Moderatoren werden in einem viertägigen Training auf ihre Aufgabe, eine Community zusammenzustellen und zu moderieren, intensiv vorbereitet. Sie lernen dort die Arbeitstechniken für die Gruppenarbeit kennen und machen erste Erfahrungen im Umgang mit Gruppen. Das Entscheidende ist das Erlernen der Moderationsmethoden, mit der die Gruppenaktivitäten geleitet werden.

Rahmenbedingungen

  • Freiwilligkeit: Die Gruppe kann nur durch aktiv-konstruktive Mitarbeit erfolgreich sein. Nur von einem Gruppenmitglied, das sich freiwillig für die Mehrbelastung durch die Gruppenarbeit entschieden hat, kann dies erwartet werden. Selbstorganisation kann hier nicht verordnet werden.
  • Langfristcharakter: New Work Communities sind eine „Dauereinrichtung“. Sie stellen einen Baustein des Personal- und Organisationsentwicklungsprozesses im Unternehmen dar. Die Gruppe löst sich nach Abschluss einer Problembearbeitung nicht auf, sondern wendet sich einer neuen Aufgabe zu.
  • Unabhängigkeit: Die Teams können und sollten von der sonstigen Organisationsstruktur, fach- und bereichsübergreifend zusammengestellt werden.
  • Prinzip der Eigenverantwortlichkeit: Die Gruppe hat keinerlei Vorgaben, womit sie sich zu beschäftigen hat. Die Problemstellung, die die Gruppe bearbeiten will, wählt sie eigenverantwortlich aus den Problemen aus, die den Gruppenmitgliedern bekannt sind und von denen sie glauben, sie einer Lösung zuführen zu können.
  • Kein Erfolgszwang: Von der Gruppe wird erwartet, dass sie arbeitet. Es werden aber (von außen) keine Ergebnisse im Sinne vorzeigbarer Problemlösungen erwartet. Die Gruppe ist dadurch für ihre Motivation selbst verantwortlich.
  • Moderatorenteam: Die Gruppe wird von zwei Moderatoren „geleitet“. Die Moderatoren sind verantwortlich für die Prozesssteuerung, übernehmen aber keine inhaltlichen Aufgaben. Sie sind nicht Vorgesetzte, sondern Helfer der Gruppe. Eine Gruppe wird grundsätzlich von zwei Moderatoren betreut. Dadurch kann die methodische Arbeit leichter bewältigt werden, und die Gruppenprozesse sind zu zweit besser zu steuern.
  • Moderationsmethode: Die Gruppe arbeitet im Kern mit der „MODERATIOnsMETHODE“. Diese gibt der Gruppe eine Struktur für ihre Arbeit vor und stellt Methoden zur Problembearbeitung bereit.
  • Regelmäßigkeit: Die Gruppenarbeit findet zusätzlich zur normalen Arbeit – während der Regelarbeitszeit – statt. Die zeitlichen Möglichkeiten sind deshalb sehr begrenzt. Um eine kontinuierliche Problembearbeitung zu ermöglichen, sollten sich die Gruppenmitglieder mindestens zweiwöchentlich treffen.
  • Erfahrungsaustausch: Einmal pro Jahr findet ein Moderatoren-Workshop statt, in dem es darum geht, die gemachten Erfahrungen intensiv zu besprechen und aufzuarbeiten. 

Fazit 

New Work Communities können in idealer Weise die Delegation an Einzelne und Teams ergänzen, da sie fach- und ressortübergreifend organisiert sind und beliebige Themenstellungen aufgreifen können. Sie fordern und fördern Selbstorganisation. Führung und Selbstführung können so, wie Yin und Yang, ineinander greifen. Sie sind mehr als ein Appell, sie sind regelrecht die Manifestation der Abkehr von einem traditionellen Führungsverständnis und der so wichtigen Botschaft: Bei uns darf gedacht werden!


PS:

Wir beraten Sie gern zur Einführung Ihrer „New Work Communities“, sprechen Sie uns an, unter Telefon: +49 8446 – 9 2030 // Zuständig für diesen Bereich sind Josef W. Seifert und Dr. Gerlinde Bühner.


© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIO

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Ist Konsens Nonsens?

Mehrheitsentscheide sind in Businessmoderation und Facilitation von je her tabu. Angestrebt wird grundsätzlich Konsens. Die Idee dahinter ist, dass damit die getroffenen Entscheidungen von allen mitgetragen werden können. Motto: Moderation ohne Konsens ist Nonsens!

Besteht bei einer zu fällenden Entscheidung Einigkeit, also Konsens, steht alles zum Besten. Besteht keine Einigkeit, sondern Dissens, benötigt man ein Entscheidungsverfahren.

Bei einer Gruppengröße von bis zu 12 Personen, wie sie für Meetings|Workshops üblich ist, ist es gut möglich, Argumente direkt auszutauschen. Daher ist, bevor man ein Entscheidungsverfahren vorschlägt, zu klären, wo es „hängt“. Worin konkret besteht der Dissens? Können fachliche Bedenken ausgeräumt werden? Können Ängste offen gelegt und geklärt werden? … oder kann|muss die Entscheidung modifiziert werden, damit Konsens möglich wird? Nur, wenn die Gruppe zur Überzeugung gelangt, dass eine Konsens-Entscheidung nicht gelingen wird, stellt sich die Frage nach einer geeigneten Entscheidungsmethode.

Ist Konsens nicht erreichbar und ein Mehrheitsentscheid soll vermieden werden, kommen die „Delegation“ und die „weiche Abstimmung“ in Frage.

Delegation

Bei Delegation entscheidet eine Person für die Gruppe. Das kann der Vorgesetzte sein aber auch ein Fachexperte. Denkbar ist, die Entscheidung an eine Bedingung zu knüpfen und dem|der „Delegierten“ das Vertrauen auszusprechen und ein Placet für die Entscheidung zu geben, also das Einverständnis zu bekunden, dass die Person die Entscheidung treffen darf. Ist der Sachverhalt – ganz konkret – im Maßnahmenplan festgehalten, ist die Entscheidung seitens der Gruppe (quasi) getroffen. Die Gruppe muss sich damit nicht weiter auseinandersetzen.

Ein Beispiel für eine „Entscheidungs-Delegations-Maßnahme“: „Der Kollege Meier entscheidet bis zum …, wie wir mit … verfahren werden, nachdem er den rechtlichen Rahmen dafür konkret abgeklärt hat. Er informiert uns dann im Rahmen von … über den Entscheid.“

Weiche Abstimmung

Eine „weiche Abstimmung“, wird – welche Methode man auch immer wählt – mehr oder weniger Gewinner und Verlierer produzieren. Eine weiche Abstimmung verhindert lediglich, dass lautes, extrovertiertes oder rücksichtsloses Verhalten die Oberhand gewinnt. Die Abstimmung ist immer die zweitbeste Wahl. Die gängigsten Methoden für eine Abstimmung ohne Mehrheitsentscheid sind die klassische Mehrpunktabfrage, der Paarvergleich und das Konsensieren:

  • Mehrpunktabfrage
    Bei der Mehrpunktabfrage beantworten die Gruppenmitglieder eine Frage durch Kleben mehrer Punkte. Da jede|r gezwungen ist neben der von ihm|ihr priorisierten Antwort auch mindestens eine Alternative zu wählen, ist die Fixierung auf nur eine Möglichkeit ausgehebelt.

  • Paarvergleich
    Im Paarvergleich wird jede denkbare Entscheidungsvariante mit jeder anderen, ebenfalls denkbaren Entscheidungsvariante verglichen. Die Entscheidung ergibt sich aus den gegebenen Einzelentscheidungen an denen jede|r beteiligt war. Niemand kann überstimmt werden. 

  • Konsensieren:
    Das aus dem Entscheidungsmodell der Soziokratie, dem Konsent hervorgegangene Entscheidungsverfahren, das sogenannte Konsensieren, fokussiert (in der ursprünglichen Form) auf den Widerstand gegen eine Entscheidung, also die Intensität der Ablehnung der einzelnen zur Entscheidung stehenden Varianten. Die Gruppenmitglieder vergeben nicht Zustimmungswerte, sondern Ablehnungswerte. Die Variante, die am wenigsten abgelehnt wird, erhält den Zuschlag.

    In der von MODERATIO vorgeschlagenen, modifizierten Form „Positives Konsensieren“ (vgl. hierzu Systemisches Konsensieren) liegt der Fokus auf dem positiven Aspekt.

Ein wesentlicher Aspekt bleibt in jeder weichen Abstimmung die Bearbeitung schwerwiegender Einwände. Es muss Raum für das Äußern von Bedenken, Befürchtungen, Ängsten und Hoffnungen sein. Nur so kann eine Entscheidung zur gemeinsam getroffenen und gemeinsam getragenen Entscheidung werden. Selbst dann, wenn als Näherungsverfahren eine weiche Abstimmung genutzt werden muss. Nur, wenn es gelingt die Menschen so gut es geht einzuladen und mitzunehmen, wird eine Entscheidung eine Entscheidung sein. Bleibt der|die Einzelne mit seinen Vorstellungen zurück, ist jede Entscheidung nur Makulatur. Für den Rahmen persönlicher Begegnungen, wie Meetings oder Workshops gilt daher: Ohne die Vision eines Konsens ist jede Entscheidung Nonsens.

Hierzu vielleicht auch interessant: Selbstorganisation & Entscheidung


© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIO