Wer wagt gewinnt.
Ist unseren Schutzengeln langweilig? Gehen wir zu wenig Risiken ein, fehlt uns der Mut zu Neuem? Angesichts der gesellschaftlichen, klimatischen, technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen werden wir es künftig mit dem deutschen Dramatiker Friedrich Schiller halten müssen, der meint: „Wer nichts waget, der darf nichts hoffen.“ – Doch was konkret gilt es zu wagen? …was zu hoffen?
Die Veränderungsgeschwindigkeit in Gesellschaft und Organisationen nimmt zu. Veränderungen verlaufen häufig nicht linear, sondern sprunghaft. Es entsteht eine nie gekannte Flüchtigkeit. Was heute gilt, ist morgen schon überholt. Das führt zu Unsicherheit. Prognosen und Strategien sind immer kurzlebiger. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Komplexität der Voraussetzungen für politisches und unternehmerisches Handeln kontinuierlich zunimmt. Ursachen für Ereignisse sind meist multikausal und in sozialen Systemen gar zirkulär. Mehrdeutigkeit dominiert, monokausale Ursachen-Wirkungs-Erklärungen laufen ins Leere. Diese Entwicklung hat längst einen Namen: Wir leben in einer „VUCA Welt“, einer Welt von Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity.
Wir haben nicht die Wahl, ob wir diesem Sachverhalt Rechnung tragen, sondern nur wie. Und dabei müssen wir aufpassen, dass unseren Schutzengeln nicht langweilig wird. Wir müssen – wo immer verantwortbar – mehr Unsicherheit wagen. Wir sollten die Definition von Wahnsinn, die Albert Einstein nachgesagt wird, „… immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ sehr ernst nehmen und es wagen, – immer wieder neu – Denk-, Fühl- und Handlungs-Autobahnen zu verlassen.
Für unsere Arbeitswelt erfordert das den Mut, Bewährtes auf den Prüfstand zu stellen und die „Neue Arbeit“ zu erfinden. Dies beginnt ganz radikal bei der Frage, nach dem Sinn & Zweck (Wofür gibt es uns heute und wofür morgen?) über die Neudefinition von Führung (Was ist Führung heute und wohin muss sie sich verändern?) und reicht bis zur Selbstorganisation von Unternehmen und Teams (Wie viel Kontrolle brauchen wir, wie viel Eigenverantwortung ist möglich?), um nur drei der wesentlichen Faktoren zu nennen, die uns im Rahmen der Transformation zur New Work beschäftigen müssen. Im Einzelnen:
Sinn & Zweck
Unternehmen müssen künftig mehr als wirtschaftliche Ziele haben, um für (junge) Menschen attraktiv zu sein. Die Akzeptanz der auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Wirtschaftslogik schwindet. Es muss über das Gewinnstreben hinaus (oder statt dieses Zieles) glaubwürdig ein Sinn, Zweck, „Purpose“ formuliert werden, der (auch) das Gemeinwohl im Blick hat, Chancen- und Einkommensgerechtigkeit fördert, Nachhaltigkeitskriterien gerecht wird.
Der Trend, immer weniger für Lebensmittel ausgeben zu müssen um immer mehr finanzielle Mittel für „Totmittel“ zur Verfügung zu haben, gerät ins Stocken. Die Folgen der Wohlstandsgesellschaft und des sogenannten Turbokapitalismus, werden langsam nicht nur bewusst, sondern auch spürbar. Immer mehr, vor allem junge Menschen, hinterfragen den Sinn und Zweck, wenn sie ihre Lebenszeit für ein Unternehmen, eine Organisation einsetzen sollen. Der Mitarbeiter der Zukunft möchte den Sinn und Zweck seines Handelns verstehen und das Gefühl haben, dass es etwas Sinnvolles ist, wofür er sich einsetzt.
Unternehmer und Manager brauchen daher den Mut, den Unternehmenszweck auf den Prüfstand zu stellen und Zukunftsvisionen zu entwickeln, die die Menschen mitnehmen, die Sinn und Selbstwirksamkeit im täglichen Tun versprechen und neben dem Unternehmenswohl auch das Gemeinwohl im Blick haben.
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Antoine de Saint-Exupéry
Führung
Führung muss künftig mehr sein, als Planen und Entscheiden, Anordnen, Delegieren, Kontrollieren, Kritisieren und Disziplinieren. Führung muss neu gedacht werden, weil vor allem jüngere Menschen nicht bereit sind, diese Art von Führung zu akzeptieren. Zudem verbrennt sie in ausgeprägten VUCA Zeiten zu viel der erforderlichen Wendigkeit. Agilität ist Trumpf. Gefragt sind „Freiheit“ und Partizipation, Selbstführung und Selbstorganisation. Die Führungskraft als Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens hat – lange beschworen – nun tatsächlich ausgedient. Der Mitarbeiter rückt ins Zentrum des Geschehens. Führung wird dadurch nicht geringer, sondern anders.
Die Führungskraft muss mehr denn je zum „Selbstführungscoach“ und „Selbstorganisationscoach“ werden, der Eigenverantwortung fordert und fördert. Führung wird zur Dienstleistung. Wir brauchen, mehr denn je, den Mut zur „Führung mit Demut“; wir brauchen Facilitative Leadership.
Demut besteht nicht darin, sich geringer als die anderen zu fühlen, sondern sich von der Anmaßung der eigenen Wichtigkeit zu befreien.
Matthieu Ricardo
Selbstorganisation
Das, im Rahmen der New Work Diskussion, oft bemühte Idealbild des hierarchiefreien Miteinanders auf Augenhöhe, muss eher als Vision denn als Ziel verstanden werden. Heterarchie, als gleichberechtigtes Neben- und Miteinander könnte man in sozialen Bezügen als „realistische Utopie“ bezeichnen. Nichtsdestotrotz brauchen wir den Mut und die Phantasie mehr Selbstorganisation zu wagen.
Was in Start-ups und klein(st)en Unternehmen an Einbezug und Mitwirkung einfach zu bewerkstelligen ist, muss in größeren Organisationen tailormade in Strukturen und Prozessen abgebildet werden. Das Thema heißt im Kern: Delegation. Und damit ist nicht nur die Übertragung von Aufgaben an Mitarbeiter oder Teams gemeint, sondern auch die Übertragung der zugehörigen Verantwortung und den erforderlichen Kompetenzen.
Ein Zuwachs an Agilität und Effizienz für die Organisation und Qualität für die Mitarbeitenden ist nur möglich, wenn Kompetenzen ausgebaut, Entscheidungswege verkürzt und Prozesse vereinfacht werden. Wir brauchen eine Transformation hin zur Delegations-Kultur mit mehr Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden. Das Wollen und Können muss, wo immer möglich, um das erforderliche Dürfen erweitert werden.
Dabei stellen Instrumente, wie flexible Organisationsstrukturen, Vertrauensarbeitszeit, Homeoffice, digitale Vernetzung, agile Projektarbeit, New Work Communities … hohe Anforderungen an Führungskräfte, Teams und Mitarbeitende. Das bedeutet, dass Selbstorganisation nicht verordnet werden kann und nicht nur gut gemeint sondern auch, und vor allem, „gut gemacht“ sein muss.
Allem voran aber brauchen wir Führungskräfte, die es wagen sich – in der gewohnten Rolle – überflüssig zu machen, ohne überflüssig zu werden. Das verlangt Mut, Vertrauen und solides Handwerk.
„Erst die Balance aus Selbst- und Fremdbestimmung, mit einem deutlichen Ausschlag zu ersteren, lässt unser Leben gelingen.“
Helmut Glaßl
Fazit
Jede Veränderung birgt Risiken, Nichts zu verändern auch. Es sieht ganz danach aus, also ob es uns jetzt gelingen muss, in unserer (Arbeits-)Welt grundlegende Veränderungen vorzunehmen, um hoffen zu dürfen, dass damit die erforderliche Transformation gelingt. Dabei wird uns nichts anderes übrig bleiben, als dafür zu sorgen, dass unseren Schutzengeln nicht langweilig wird.
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© 2020, Josef W. Seifert, MODERATIO