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Selbstorganisation & Entscheidung

Unter dem Label New Work erleben wir einen Trend zur hierarchiearmen Organisation. Die alte Forderung nach dem Mitarbeiter als Unternehmer im Unternehmen gewinnt immer mehr an Fahrt. Partizipation steht hoch im Kurs. Führung wird immer mehr zur Moderation.

Moderation, englisch Facilitation, zeichnet sich dadurch aus, dass die moderierende Person, durch ein geeignetes Kommunikations- und Methodenangebot, einer Gruppe hilft, eine gestellt Aufgabe zu meistern. Sowohl die Fachexpertise als auch die Entscheidungsgewalt liegen bei den Gruppenmitgliedern. Moderator*innen sind Prozessberater, nicht Vorgesetzte.

Um diese neue (Führungs)Rolle einnehmen zu können, müssen Führungskräfte und Projektverantwortliche, Selbstorganisation organisieren oder anders ausgedrückt, selbstständiges Handeln in einem definierten Rahmen ermöglichen. Dies bedeutet einerseits, Aufgaben- und Zuständigkeiten an Mitarbeiter als „kollektive Führungsarbeit“, zu delegieren. Delegation meint dabei grundsätzlich die Übertragung einer Aufgabe oder eines Aufgabenbereiches und der Verantwortung dafür sowie die Übertragung der erforderlichen Kompetenzen (Rechte). Andererseits müssen sie es fertig bringen, nicht mehr alles kontrollieren zu wollen, sie müssen den Mitarbeitern vertrauen. Zudem müssen unbedingt, Stichwort Fehlerkultur, Fehler erlaubt sein.

Die Voraussetzung für Selbstorganisation ist dabei einerseits die eben erwähnte Bereitschaft und Fähigkeit der Führungskraft, Kontrolle und Verantwortung sowie Entscheidungsrechte loszulassen, sowie andererseits die Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbeiter eigenverantwortlich zu arbeiten. Ein wesentlicher Aspekt für das Gelingen selbstorganisierten Arbeitens ist dabei die Fähigkeit gemeinsam Entscheidungen zu treffen.

Wie treffen selbstorganisierte Teams Entscheidungen?

  1. Konsens: Das Team entscheidet per Konsens. Man ist sich einig, wie die anstehende Entscheidung zu treffen ist.
  2. Kontent: Das Team entscheidet per Kontent: Es reicht, wenn es keine Einwände (mehr) gegen eine bestimmte Entscheidung gibt (vgl. „Systemisches Konsensieren“).
  3. Delegation: Die Frage um die es gerade geht, darf die Person entscheiden, die dem Team dafür besonders gut geeignet erscheint. Das ist zum Beispiel jemand, der sich im entsprechenden Thema besonders gut auskennt. ODER: Die Sache um die es gerade geht, darf die Person entscheiden, die eine /die entsprechende Rolle innehat, also beispielsweise für einen bestimmten Themenkomplex zuständig ist.
  4. Mehrheitsentscheid: Denkbar ist auch ein demokratischer Prozess, bei dem die Mehrheit darüber entscheidet, wie zu verfahren ist.

Die Fähigkeit zu Teamentscheidungen im Speziellen und Selbstorganisation im Allgemeinen bedarf der sorgfältigen Vorbereitung und Begleitung.

Sowohl die Führungskraft als auch das Team sollten Gelegenheit erhalten die neue Form des Miteinanders – step by step – zu erlernen. Dazu gehört der Austausch über das erforderliche Mindset ebenso, wie das (Er-)Finden des organisationalen Rahmens, das Vereinbaren von Rollen und Regeln und das Erlernen und Einüben von geeigneten Entscheidungs- und Feedback-Techniken.

Der Weg hin zu funktionierender Selbstorganisation wird im Idealfall als Organisations- und Kulturwandel-Projekt betrachtet, organisiert und begleitet. Die Organisation der Selbstorganisation ist kein Ereignis, sondern ein (manchmal steiniger) Weg, den zu gehen sich aber am Ende für alle lohnt.

Ihr /Euer /Dein
josef w. seifert

 

 

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New Work auf Augenhöhe

von Josef W. Seifert

Im Kontext der New Work Diskussion ist viel die Rede von der sogenannten Augenhöhe. Was aber soll das sein, Augenhöhe? Was kann man sich darunter vorstellen? Wie kann man sie herstellen? Und wozu eigentlich?

Die Definition nach Duden „auf [gleicher] Augenhöhe (gleichberechtigt, gleichwertig: [mit jemandem] auf Augenhöhe verhandeln, diskutieren, verkehren)“ erklärt nicht wirklich, was mit dem Begriff gemeint sein könnte. Bedeutet „gleichberechtigt“, dass beide gleichermaßen berechtigt sein müssen, was auch immer zu beurteilen, zu entscheiden, zu tun? Meint „gleichwertig“, dass beide denselben Wert haben oder dass ihre Argumente dasselbe Gewicht haben? Können denn ein Meister und sein Schüler, ein Fachexperte und ein Kunde, ein Geschäftsinhaber und sein Mit-Arbeiter auf Augenhöhe mit einander sprechen, obwohl sie ja faktisch auf ganz unterschiedlichen Wissens- und/oder Berechtigungsniveaus sind?

Legt man gleichberechtigt und gleichwertig (was auch immer das im Einzelnen bedeuten soll) als Bedingung für „Augenhöhe“ zugrunde, müsste man in Anlehnung an Gregory Bateson und seinen Schüler Paul Watzlawick, kommunikationstheoretisch begründet, sagen: Augenhöhe gibt es nicht. Es gibt nun einmal symmetrische (auf Gleichrangigkeit basierende) und komplementäre (auf Ergänzung basierende) Beziehungen.

Zudem gilt: Gleichberechtigung kann nur als niemals zu erreichendes Ideal, als Vision verstanden werden, der wir – immer wieder neu – versuchen sollten, so nah wie möglich zu kommen. Sie taugt aber nicht als generelle Regelung. Bei einem Feuerwehreinsatz können nicht alle Anwesenden gleichbe-recht-igt sein. Rechte und Pflichten sind immer situations- und personenbezogen.

Die Forderung nach Gleichwertigkeit ist ebenfalls nicht unproblematisch: Menschen haben immer denselben Wert. Jeder Unterschied ist eine (unberechtigte) Zuschreibung, die jemand macht, keine Tatsache. Auch gleichwertige Behandlung ist subjektiv und daher im höchsten Maße variabel und zudem nicht mit „gleich“ und dem Artikel 3 des Grundgesetzes zu verwechseln.

Im Kern scheint es bei der Diskussion um Augenhöhe eher um die Frage zu gehen, wann sich jemand gesehen, ernst genommen und gut behandelt fühlt. Übersetzt man Augenhöhe mit Wohlwollen wird sofort klar, worum es eigentlich geht: Auf Augenhöhe miteinander umgehen bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als wohlwollend miteinander umgehen. Und diese Forderung – akzeptiert man die vorgeschlagene Übersetzung – geht weit über den Kontext von New Work hinaus.

Würden Menschen kompromisslos wohlwollend mit einander umgehen, hätten wir das Paradies auf Erden.

Dass das nur eine – wenn auch reizvolle – Utopie sein kann ist uns allen klar. Aber ist uns auch klar, dass Moderator*innen dafür zuständig sind, in jedem Meeting ein kleines Paradies zu schaffen?

Kompromisslos wertschätzend zu sein gehört zum Mindset des New Work Facilitators der Businessmoderation. Es geht – neben und für die jeweilige Sache – immer darum Dialoge „auf Augenhöhe“ zu schaffen, in denen niemand sein Gesicht verliert sondern, ganz im Gegenteil, gestärkt herauskommt: Ist es nicht das, was wir dringend brauchen!?

Josef W. Seifert