Die Überheblichkeitsfalle
– Ein Beitrag von Josef W. Seifert
Das Streben nach Überlegenheit ist allgegenwärtig, Imponiergehabe wohin man schaut: Höher, weiter, schöner. Moderner, lauter, schriller. Ob Kleidung, Handy, Auto, Wohnung oder Urlaubsziel, es soll schon etwas Besonderes sein, es soll beeindrucken. Und wenn das Ganze dann noch als Schnäppchen daherkommt ist die Freude groß, das Ziel: Eindruck schinden.
… wenn uns das im eigenen Unternehmen, im eigenen Team begegnet, dann trägt das zerstörerische Züge von Ausgrenzung bis Zickenkrieg. Es scheint regelrecht ein Bedürfnis zu geben, das Abraham Maslow zu erwähnen vergessen hat, ein Bedürfnis nach „Ich-lass-die-anderen-alt-aussehen“. Und: Dieses Bestreben hat nach oben keine Grenze. Je weiter die anderen zurückbleiben, desto besser, je größer der Abstand, desto überlegener fühlt sich der, der „oben“ ist. Das gilt freilich für den einen mehr und für die anderen weniger doch jeder kennt dieses Gefühl.
Stellt sich die Frage, wozu das gut sein soll: Wieso eigentlich geben wir uns so viel Mühe andere zu beeindrucken? Wieso wollen wir „mehr wert sein“? Woher kommt das? Eine (individualpsychologische) Erklärung: Der Mensch kommt als absolut unschuldiges, lebensbejahendes, völlig schutzloses, auf Überleben programmiertes Wesen auf die Welt. Er braucht von Anfang an Nahrung und Pflege, Wärme und Zuwendung kurz: „die Andern“. Im Laufe des Heranwachsens erlebt der kleine Mensch, dass diese andern, in der Regel die Eltern, ganz im Gegensatz zu ihm selbst, scheinbar „alles können“, „alles wissen“ und „alles dürfen“. Er erlebt sich selbst zwangsläufig als klein und abhängig, wenig/er potent und wenig/er wert. Dieses Erleben des eigenen Unvermögens, der eigenen „Minderwertigkeit“ und der Abhängigkeit vom Wohlwollen der andern gräbt sich so tief in sein Gedächtnis und in seine Seele, dass es nie mehr völlig verblassen wird. Je nach persönlicher Situation und individueller Verarbeitung bleibt ein mehr oder weniger tiefes, unbewusstes Minderwertgefühl, eine Angst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, was in ein gesteigertes Bedürfnis dazuzugehören mündet. Dass es dieses Bedürfnis gibt ist spätestens seit der Erfindung von facebook & Co. bewiesen.
Paradoxerweise entsteht durch unsere Bemühungen uns interessant zu machen ein emotionaler Abstand zu den anderen, die sich klein gemacht fühlen und versuchen nachzuziehen. Wir erreichen Distanz, Neid und Missgunst und den ständigen Wettbewerb der Eitelkeiten. Das ist im Unternehmen, im Team, nicht anders als im privaten Leben. Wenn die Teamkultur so ist, dass es wichtig zu sein scheint, in welcher Hinsicht auch immer, besser dazustehen als die Kollegen, dann frisst das die Energie für Kreativität und Unterstützung, lähmt das Miteinander und hemmt die Performance des gesamten Teams.
Die Angst nicht zu genügen ist uns mit auf den Lebensweg gegeben und sie wird benutzt, auch in Unternehmen und Teams. Nur, wer glaubt durch das Schüren von Konkurrenz Spitzenleistung zu erzeugen, der befindet sich auf dem sprichwörtlichen Holzweg. Das Gegenteil ist der Fall: Mikropolitik, Abwertungen und Konflikte sind die Folge.
In Anlehnung an den Satz: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin…“, könnte man für Führungspersonen formulieren: „Stell Dir vor, jeder würde mit jedem zu jeder Zeit kompromisslos konstruktiv umgehen…“ Was wäre die Folge? Meine These ist, dass das Streben nach Überlegenheit dahinschmelzen würde, wie Eis in der Sonne. Die Energie die jetzt vom Wettbewerb verschlungen wird, wie die Lichtstrahlen von einem schwarzen Loch, würde sich darauf konzentrieren, worauf es ankommt, auf die Bewältigung der gestellten Aufgabe.
Weiterbildung ist der Schlüssel: Wenn es uns gelänge Führungskräften das Wissen um diese „Mechanik“ zu vermitteln und Ihnen konkrete Werkzeuge an die Hand zu geben, im eigenen Team eine Kultur der Augenhöhe zu realisieren, würden „Wertschätzungsinseln“ entstehen, die ihre Wirkung über das eigene Team hinaus entfalten würden. Die Wege sind bekannt. Führungstraining, Coaching, moderierte Teamworkshops, um nur einige zu nennen, können die Sprossen auf der Leiter zu einer angstfreien Teamkultur des Wohlwollens sein, in der das Streben nach Überlegenheit nicht die Regel ist, sondern ein Regelverstoß.
Ihr /Euer /Dein
Josef W. Seifert
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