Die Führungskraft als Selbstorganisations-Coach

– Gedanken von Josef W. Seifert

Selbstorganisation bedeutet, dass biologische, psychische und soziale Systeme selbst Kommunikationsstrukturen bilden. Niemand gibt diese vor, das System erfindet sie selbst. So ist beispielsweise jede Organisation, jedes Team, jeder Workshop eine Mischung aus Fremdorganisation und Selbstorganisation. Der Rahmen für das Miteinander wird von außen vorgegeben (formelle Organisation), also für das Team fremd organisiert und der konkrete Ablauf wird von den Anwesenden selbst organisiert (informelle Organisation). Beides ist für das Funktionieren der Kooperation unverzichtbar.

Wenn heute – etwa im Rahmen von New Work – viel von Selbstorganisation die Rede ist, ist damit meist gemeint, dass es für die Bereitschaft zur Mitverantwortung des einzelnen und die Agilität der Organisation insgesamt wesentlich ist, eine Kommunikation auf Augenhöhe anzustreben und die Freiheitsgrade innerhalb des vordefinierten Rahmens möglichst groß zu halten. Und vielleicht sogar zuzulassen, dass der Rahmen selbst diskutiert und modifiziert werden kann.

Allzu leicht wird dabei übersehen, dass die Gruppe, das Team nur bei entsprechender „Reife“ eine Chance hat, selbstorganisiert zu arbeiten. Je reifer die Gruppe ist, also je geübter die Menschen in Diskussion und Moderation sind, desto mehr ist möglich. Ohne entsprechendes Training wird Selbstorganisation sehr schnell zur Überforderung und was gut gemeint war, geht nicht gut aus. Missverständnisse und mehr oder weniger offen ausgetragene Konflikte sind die Folge: Steigender Frust, steigende Fluktuation.

Unterstellt man, dass – vor allem die jüngere Generation – sich ganz im Sinne Freud’s Schüler Erich Fromm „weg vom Schein hin zum Sein“ entwickelt, oder anders ausgedrückt, Mitgestaltung vor Status geht, wird deutlich, dass es nicht darum gehen kann die Menschen enger zu führen, also mehr fremd zu organisieren. Vielmehr wird die Dringlichkeit der Qualifikation in Kommunikation und Moderation deutlich.

Die abteilungs- und immer häufiger auch unternehmensübergreifende, agile Projektarbeit zwingt Führungspersonen und Mitarbeiter dazu, Führen und Geführt werden neu zu definieren. Es kann im New-Work-Zeitalter also nicht um ein Festhalten an alten Führungsvorstellungen gehen, es hilft aber auch nicht ins Gegenteil zu verfallen und die Menschen mit Anforderungen zur Selbstorganisation zu konfrontieren, denen sie nicht gewachsen sind.

Es wäre fatal, im menschlichen Bereich auf Effekte wie „Schwarminteligenz“ zu setzen die, glaubt man Dirk Helbing von der ETH Zürich, nicht vom Tierreich auf menschliche, soziale Systeme übertragbar sind. Auch scheint es naiv, darauf zu vertrauen, dass sich im Teamwork das inhaltlich bessere Argument durchsetzen wird. Gut möglich, dass eher mal extrovertierte, rhetorisch geschickte, vielleicht auch ein Stück weit rücksichtslose Teilnehmer*innen, die sich „gut verkaufen“ können, mehr Gehör bekommen.

Allein moderatorisches Geschick kann helfen, diese Effekte zu eliminieren oder zumindest zu minimieren. Die Förderung sozialer und methodischer Kompetenz in Kommunikation und Moderation, Coaching und Führung, scheint der Königsweg zu sein, Selbstorganisation zu ermöglichen. 

Vielleicht gilt es den von Paul Hersey und Ken Blanchard in den 70er Jahren formulierten Ansatz der „situativen Führung“ neu zu denken und die Manager, Führungskräfte und Projektleiter dazu zu qualifizieren, dass sie Ihren Mitarbeitern gute Coaches für Selbstorganisation sein können?

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